Der Schweizerische Nationalpark weist in einer Ausstellung und mit einem Bärenpfad auf die Geschichte des Bären im Unterengadin hin. (Fotos: zVg)
Ihr Büro hat Angelika Abderhalden im Gemeindehaus in Scuol. Sie leitet die Geschäftsstelle der UNESCO Biosfera Engiadina Val Müstair. «Seit 2017 bildet der Schweizerische Nationalpark gemeinsam mit dem regionalen Naturpark Biosfera Val Müstair und der Gemeinde Scuol das erste hochalpine Biosphärenreservat der Schweiz», erklärt sie. Unterteilt ist das Biosphärenreservat in drei Zonen. Die Kernzone mit einem Anteil von 38 Prozent besteht aus dem Nationalpark. Die Pflegezone mit einem Flächenanteil von 39 Prozent umschliesst weitgehend diese Kernzone. Vorrangige Ziele in dieser Zone mit alpinen Weiden, Wäldern und Felsen sind die Erhaltung und die Pflege der Kulturlandschaft und eine nachhaltige Nutzung. Eine dritte Zone mit einem Anteil von 23 Prozent gilt der Entwicklung von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Werten. Im Mittelpunkt stehen die menschlichen Aktivitäten mit Tourismus, Landwirtschaft, Siedlungsentwicklung sowie andere Nutzungs- und Wirtschaftsformen, die natur- und sozialverträglich gestaltet werden.
Drei Funktionen
Im Überblick hat ein Biosphärenreservat eine Schutzfunktion, eine Entwicklungsfunktion und eine Forschungs- und Bildungsfunktion. Im UNESCO-Biosphärenreservat Engiadina Val Müstair werden sie in enger Zusammenarbeit mit den Partnern wahrgenommen. Was Sensibilisierung und Bildung anbelangt, liegt ein Schwerpunkt bei der Ressource Wasser und den grossen Wiederkehrern. Exkursionen aus dem gemeinsam mit Aqua Viva und dem WWF Graubünden erarbeiteten Umweltbildungsprogramm «Colliar auas» führen zum Beispiel zur Clemgia in der Val S-charl. Eine weitere begleitet Besucher auf dem vom WWF Graubünden eingerichteten Bärenpfad, ebenfalls in der Val S-charl. Die vom Nationalpark eingerichtete Bärenausstellung im Museum Schmelzra in S-charl bildet Anfang- und Endpunkt des Bärenpfads.
Silber und Blei aus der Schmelzra
Im selben Gebäude wie die Bärenausstellung ist auch eine spannende Schau zum Bergbau in der Val S-charl eingerichtet. Im Weiler S-charl, zuhinterst im Tal, waren vom 12. bis zum 19. Jahrhundert Bergknappen am Werk, die Blei und Silber abbauten. Die Bergleute kamen vor allem aus Schwaz im Tirol, im Auftrag der jeweiligen Pächter der Minen. Nur einige wenige waren Engadiner.
Peder Rauch, Initiant und Präsident der im Jahr 1987 gegründeten Stiftung «Schmelzra S-charl», kennt die Geschichte des einstigen Bergbaus wie kein anderer. «Silber und Blei wurden nach dem Schmelzprozess von Säumern über die Scuoler Alpen ins Münstertal oder über den Cruschettapass nach Taufers und bis nach Meran transportiert», erklärt er. Aus dem Silber wurden Münzen geprägt, das Blei wurde für kriegerische Zwecke verwendet. Die Säumer brachten jeweils Lebensmittel, Salz, Wein, Gewürze oder auch Schnaps für die Bergknappen zurück. Im 17. Jahrhundert konnte sich das Unterengadin von österreichischen Rechten loskaufen und wurde unabhängig. «Die Unterengadiner waren aber keine Bergleute. Also war Schluss mit dem Bergbau», erzählt Peder Rauch.
Auf verschiedenen Führungen erleben Besucher das ehemalige Bergwerk. (Foto: zVg)
Verwaltungsgebäude wird Museum
Die Anlage verfiel. Erst im Jahr 1811 kam der Landammann Johannes Hitz von Klosters auf die Idee, den Bergbau in der Val S-charl zu reaktivieren. Sein Ziel war, die Abwanderung aus den Tälern und die Auswanderung zu stoppen. Er beschloss, eine Belegschaft nach S-charl zu schicken, baute die Öfen neu auf, legte neue Wege zu den Minen für Ochsenkarren an und baute ein Verwaltungsgebäude. «Das dauerte ein Weilchen», erzählt Peder Rauch weiter. «Erst im Jahr 1820 konnte Hitz mit der eigentlichen Produktion beginnen.» Anfangs war er recht erfolgreich mit dem Abbau. «Mit der Industrialisierung fielen aber die Preise und der Bergbau lohnte sich nicht mehr. Hitz ging Konkurs und wanderte selbst nach Amerika aus», weiss Peder Rauch.
Im einstigen Verwaltungsgebäude ist heute das Museum untergebracht. Zehn Jahre nach der Stiftungsgründung, im Jahr 1997, wurde es eingeweiht. Die Ruine auf der gegenüberliegenden Strassenseite ist inzwischen gesichert, ebenfalls ein Verdienst der Stiftung, und für abenteuerlustige Besucher bietet Peder Rauch Exkursionen in die Stollen an. Geplant ist nun ein Anbau am bestehenden Gebäude für Werkstätten und für Aktivitäten des Biosphärenreservats. Im Moment würden sie dafür zusammen mit Ingenieuren, Biologen und dem Biosphärenreservat ein Konzept für die Erweiterung erarbeiten, erklärt Peder Rauch. «Ein solches Museum zu führen, wäre ohne die Arbeit von Freiwilligen kaum machbar», betont er. Dank finanziellen Mitteln aus der Stiftung können Löhne aber bezahlt werden.
Weiterer Museumsausbau
Das Biosphärenreservat ist also in seinen Funktionen auch im einstigen Bergwerk aktiv. Bezüglich des Ausbaus der Schmelzra fanden gemäss Angelika Abderhalden die ersten Planungsschritte bereits statt und wurden mit dem kantonalen Amt für Denkmalpflege besprochen. Eine Machbarkeitsstudie für die Entwicklung der Schmelzra als Infozentrum für die UNESCO-Biosfera ist in Planung. Über die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Center da Capricorns in Wergenstein soll eine Studie über die Inwertsetzung möglichst noch dieses Jahr abgeschlossen werden.
Nebst Umweltbildungseinsätzen, Forschung und Monitoring wurde auch ein Wertschätzungsprojekt für Hotels und Restaurationsbetriebe realisiert. Eine Wasserkaraffe soll in den Restaurants und Hotels der Region auf den Wert des Hahnenwassers als Trinkwasser hinweisen. Die Gestaltung der Karaffe wurde mit der Tourismus Engadin Scuol Samnaun Val Müstair AG (TESSVM) und dem regionalen Naturpark Biosfera Val Müstair abgesprochen. Zu den Wasserkaraffen gibt eine Broschüre detailliertere Informationen zum Wert des Wassers und zu weiteren Projekten, die unterstützt werden sollen. Im März 2020 wurden sie in der Teilregion Scuol bereits eingeführt. Weitere Regionen sollen dazukommen. Angelika Abderhalden ist optimistisch, was die Zusammenarbeit mit den Partnern und die Weiterentwicklung des Biosphärenreservats anbelangt. «Ich bin zuversichtlich, dass wir näher zusammenrücken können für gemeinsame Ziele.»
Als Modellregion will das Biosphärenreservat Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung übernehmen. (Foto: zVg)