Graubünden, Tourismus und die Zukunft

Eis - See Sils

Natur pur zieht heute nicht mehr im Tourismus. (Foto: bilder.gr)

Mittelfristige Herausforderungen im klassischen Tourismus
Der Tourismus ist für Graubünden ein wichtiges wirtschaftliches Standbein, die Herausforderungen sind indes gross: Ausbleibende Gäste und ein verändertes Marktumfeld sind Themen, die heute den Kanton und die Tourismusindustrie herausfordern. Das «Wirtschafts­forum Graubünden» kümmert sich seit Jahren um diese Aufgabe – der Geschäftsleiter nimmt dazu Stellung.
Text 
Peder Plaz
Das schwierige Umfeld dürfte auf absehbare Zeit fortdauern und Hotels und Bergbahnen herausfordern, neue Wege zu finden.

Wir sehen Wachstumschancen insbesondere im Geschäft mit Kurzaufenthaltern im Sommer aus der Schweiz (vgl. Abb. Swot-Analyse). Die Zunahme der verfügbaren Freizeit sowie die demografische Entwicklung bevorteilen dieses Geschäftsfeld. Zudem sind die Preisunterschiede zum Ausland weniger bedeutsam als im Feriengeschäft. Graubünden kann hier seine Vielfalt an Natur-, Kultur- und Genussangeboten voll ausspielen, wobei sich primär die (stark wachsende) Altersgruppe 50+ angesprochen fühlen dürfte. 

Das Geschäft mit internationalen Reisenden (insbesondere aus Asien und Europa) bietet weitere Potenziale. Eine allenfalls attraktive Nische könnten die Golfstaaten darstellen, welche beispielsweise bereits heute eine bedeutende Nachfrage im Berner Oberland stellen. Ein Fragezeichen stellt sich jedoch hinsichtlich Wille und Fähigkeit der Bündner Akteure, um in diesem Geschäft Fuss zu fassen.

Entgegen dem internationalen Wachstumstrend hat der Bündner Tourismus in den letzten Jahrzehnten ein Fünftel der Logiernächte verloren. Hauptgrund dafür ist, dass Graubünden das traditionelle Wochenferiengeschäft in den internationalen Märkten aufgrund des starken Frankens und wegen der Verbilligung des Flugverkehrs in Europa weitgehend verloren hat (vgl. Abb. Entwicklung der Logiernächte). Diese Verluste konnten auch mit der positiven Entwicklung bei den Kurzaufenthalten aus der Schweiz nicht kompensiert werden. Am derzeit weltweit boomenden Geschäft mit Reise- und Sightseeinggästen aus Übersee partizipierte Graubünden bisher nur minimal.

 

Grafik Witrtschaftsforum

Entwicklung der Logiernächte der Bündner Hotellerie in den letzten zwei Jahrzehnten nach Geschäftsfeldern und Herkunftsländern. (Diagramm: Wirtschaftsforum Graubünden [Einschätzungen basierend auf Daten des BFS])

Drei Strategien

Folgende drei Strategien dürften für die Bündner Tourismuswirtschaft mittelfristig im Vordergrund stehen:
Um das traditionelle Wochenferiengeschäft (Strategie A) zurückzugewinnen, müssen die Bündner Hotels, Restaurants und Bergbahnen Wege finden, um ihre Kosten und im Anschluss dazu ihre Preise zu senken. Hauptansatzpunkt hierzu ist die bessere Strukturierung des Gesamtangebots aus einer Hand. Dies ermöglicht gleichzeitig Kosten zu senken und den Komfort für den Gast zu steigern (Stichworte: Alles aus einer Hand, Ski in, Ski out, Konzentration auf das Kerngeschäft).

Wenn Graubünden das Kurzaufenthalts- und Reisegeschäft entwickeln möchte (Strategie B), müssen insbesondere die Produkte und die Reiselogistik konsequent auf die Zielgruppen ausgerichtet werden. Beim Schweizer Publikum geht es darum, primär nebst der Hardware (z. B. Landschaft, Hotels und Bergbahnen) eine gute Software zu bieten (z. B. Kultur, Veranstaltungen, Betreuung). Beim internationalen Publikum stehen Optimierungen der Reiselogistik und der internationalen Vermarktung im Zentrum.

Strategie A steht grundsätzlich allen Destinationen offen. Es dürfte aber äusserst schwierig sein, die Kosten wesentlich zu senken – somit kann der Bündner Tourismus sich kaum nur auf diese Strategie ausrichten. Strategie B steht nur denjenigen Destinationen offen, welche über eine etablierte Hotellerie verfügen. In vielen kleinen Destinationen, die von Zweitwohnungen dominiert sind und kaum noch über leistungsfähige Hotels verfügen, wird sich die Strategie C (vgl. Abb. 2) aufdrängen. Diese Orte müssen dafür sorgen, dass sie überhaupt die touristische Infrastruktur (insbesondere Skigebiete, Hallenbäder, Loipen) aufrechterhalten können. Um dies zu bewerkstelligen, werden sie kaum umhinkommen, auch die Zweitwohnungseigentümer stärker in die Mitbestimmung und Mitfinanzierung der Tourismusinfrastruktur miteinzubeziehen. Meine bisherigen Ausführungen haben sich auf die nächsten ein bis zwei Jahrzehnte bezogen und befassen sich nur mit den Entwicklungen innerhalb des Tourismus, wie wir ihn heute kennen. Wenn man weiter in die Zukunft blickt, treten weitere entscheidende Fragen auf, nämlich:

– Was geschieht, wenn der Franken chronisch stark bleibt?
– Hat ein Wintersportgeschäft in Graubünden angesichts des Klimawandels, der uns in den Jahren 2040 bis 2050 noch bevorsteht, noch Zukunft?
– Was ist mit den Zweitwohnern?
– Wenn der Tourismus nicht zu alter Blüte zurückkehrt, was dann?

Auf diese Fragen kann niemand abschliessende Antworten geben. Ich wage trotzdem ein paar Überlegungen dazu.

Wirtschaftsforum GR

SWOT-Analyse und Ableitung von Strategie­ansätzen für den Bündner Tourismus im Jahr 2014. (Diagramm: Wirtschaftsforum Graubünden)

Langfristig drückt der starke Franken auf den Tourismus

Beim Wechselkurs von EUR / CHF 1.10 ist die Schweiz für einen deutschen Gast doppelt so teuer wie Österreich; vom Vergleich mit Stranddestina­tionen ganz zu schweigen. Es ist offensichtlich, dass in einem solchen Umfeld ein Tourismusgeschäft in Graubünden sehr schwierig ist. Die alles entscheidende Frage ist deshalb: Wie wird sich der Wechselkurs langfristig entwickeln?

Solange die Schweiz wohlhabender ist als die europäischen Länder, dürfte der Schweizer Franken auch weiterhin zur Stärke neigen und damit das Umfeld für den klassischen Tourismus sehr schwierig bleiben. Sollte die Schweiz wirtschaftlich hingegen künftig ins internationale Mittelmass abrutschen, wird sich der Franken abschwächen, wovon unter anderem der Tourismus in Graubünden profitieren würde. Die Wahrscheinlichkeit einer starken Schweiz mit einem starken Franken schätzen wir für die nächsten Jahrzehnte höher ein als das Gegenszenario.

ICE Chur

Ob aus Hamburg oder aus Stuttgart - die ÖV richtens

Damoklesschwert «Klimawandel»

Obwohl niemand verlässlich sagen kann, wie sich der Klimawandel in den Alpen in Graubünden letztlich auswirken wird, prophezeien die aktuellen Klimastudien zusammengefasst mildere und nässere Winter und trockenere und heissere Sommer in den Alpen. 

Das heisst, in den höheren Lagen dürfte tendenziell mehr Schnee liegen. In den tieferen Lagen fällt zwar ebenfalls mehr Niederschlag, dies jedoch immer wieder in Form von Regen. Graubünden wird gegenüber anderen Regionen dank der höher gelegenen Skigebiete weniger stark betroffen sein. Tendenziell könnte Graubünden deshalb bei einem alpenweit schrumpfenden Angebot und gleichbleibender Nachfrage von Konzentrationstendenzen profitieren.

Wenn man aber die letzten beiden Winter als Vorgeschmack nimmt, wie der Klimawandel in der Praxis aussehen könnte, so wird rasch klar, dass die höheren Lagen allenfalls nicht allzu viel helfen. Denn der Wintersport verliert insgesamt an Attraktivität und es besteht die Gefahr, dass die Nachfrage im Gleichschritt mit dem Angebot schrumpft. 

Damit stellt sich die Frage der Eintretenswahrscheinlichkeit. Kann sein, was nicht sein darf? 
Wenn man den Klimamodellen glauben schenkt, muss man mit einer hohen Eintretenswahrscheinlichkeit und ernsthaften Veränderungen bereits in den nächsten vier Jahrzehnten rechnen.

Für den Sommer sind die Prognosen aus touristischer Sicht positiv. Denn die heutige Wetterunsicherheit ist die Haupthürde für ein breit gefächertes Sommerferiengeschäft in den Alpen. Ob das Sommergeschäft künftig wachsen wird, dürfte aber nicht vom Wetter in den Alpen alleine, sondern insbesondere auch vom Klima in den wichtigsten Herkunftsregionen abhängen. Weltweit wird vom Problemfeld «Mittelmeer» gesprochen. Man befürchtet, dass rund um das Mittelmeer die Temperaturen im Sommer unerträgliche Werte erreichen könnten. Dies würde wahrscheinlich den Alpentourismus stark begünstigen. Wir sehen in Graubünden derzeit jedoch kaum Vorboten, welche die These des sich verbessernden Tourismusgeschäfts im Sommer bestätigen würden.

Müstair

Ein Zugpferd des Tourismus – das Kloster in der Val Müstair. (Foto: zVg)

​Falls nicht Tourismus, was dann

Der Tourismus war zumindest in den letzten fünfzig Jahren der mit Abstand wichtigste wirtschaft­liche Garant für die dezentrale Besiedlung in Graubünden. Sollte der Tourismus in Graubünden in den nächsten Jahrzehnten aufgrund des schwierigen Umfelds weiter schrumpfen, stehen die Regionen ausserhalb des Bündner Rheintals ­offensichtlich unter starkem wirtschaftlichen Veränderungsdruck.
 
Wir gehen davon aus, dass für eine langfristige Besiedlung Graubündens einerseits starke Arbeits­zentren im Bündner Rheintal und nach Möglichkeit auch in Davos und im Oberengadin erhalten werden müssen. Wobei das Bündner Rheintal sich aus Industrie, Dienstleistungen und versorgungs­orientierten Branchen (inklusive Verwaltung) zusammensetzt. In Davos und im Oberengadin kann die Zentrumsfunktion erhalten werden, wenn nebst dem Tourismus weitere naheliegende Dienstleistungsangebote aufgebaut werden können (z. B. Forschung, Bildung, Gesundheit). Andererseits müssen sich die Gemeinden rund um diese Arbeitszentren so aufstellen, dass sie in Zukunft besonders attraktive Wohnorte darstellen. Hier dürfte es nebst dem Steuerklima insbesondere auch um die Freizeitattraktivität, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und um möglichst kurze Pendlerdistanzen gehen.

 

​Schlussbemerkung

Zugegeben, meine Auseinandersetzung mit der Zukunft Graubündens ist von unangenehmen He­rausforderungen geprägt. Dies hat auch damit zu tun, dass ich von Berufs wegen dazu verpflichtet bin, in ständiger Sorge um die Entwicklung Graubündens zu sein. Langfristig bin ich für Graubünden – trotz des bevorstehenden schwierigen Umfelds – optimistisch eingestellt, da ich von der Erneuerungskraft Graubündens überzeugt bin.

Weitere Infos

Autor
Peder Plaz ist Teilhaber einer Wirtschaftsberatungsunternehmung in Zürich und Geschäftsführer des 
Wirtschaftsforums Graubünden. Er lebt in Wettingen AG und Savognin GR.
p.plaz@hanserconsulting.ch 

Online info@wirtschaftsforum-gr.ch
www.wirtschaftsforum-gr.ch