Die Odyssee eines Wassertropfens

Quelle des Hinterrheins: Der Ursprung unter dem Rheinwaldhorn. (Foto: Gioanna Meuli/Viamala Tourismus)

Eine Rheinreise von den Quellen bis nach Reichenau
Von Talsperren, Turbinen und der Sehnsucht nach Tageslicht: Wer dem Wasser des Rheins von den Quellen bis zum Zusammenfluss in Reichenau folgt, erlebt so manches Abenteuer.
Text 
Julian Reich

Stellen wir uns einen Wassertropfen vor, irgendwo über den Zentralalpen. Und stellen wir uns vor, dieser Tropfen hätte einen Wunsch: Er möchte in die Nordsee. Nicht aber allein, sondern in der Gruppe, per Fluss zum Beispiel. Also lassen wir ihn im Quellgebiet des Rheins landen.
Nur: wo genau? Viele Wege führen in den Rhein, aber wo er entspringt, ist nicht so klar. Ja, der Tomasee auf 2344 Metern gilt offiziell als Quelle des Rheins, doch es gibt Argumente, die dagegen sprechen. So fliesst ein Tropfen, der unweit südlich des Tomasees und auf Tessiner Gebiet in den Lago Scuro fällt, fünf Kilometer weiter bis zum Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein in Reichenau. Nimmt man also den Fliessweg als Kriterium, so entspringt der Vorderrhein im Lago Scuro und fliesst durch das Val Medel, bis er sich bei Disentis mit den Wassern aus dem Tomasee vereinigt. 
 

Quelle des Vorderrheins: Der Tomasee unter dem Piz Badus. (Foto: Jaromir Kreiliger)

Nur: wo genau? Viele Wege führen in den Rhein, aber wo er entspringt, ist nicht so klar. Ja, der Tomasee auf 2344 Metern gilt offiziell als Quelle des Rheins, doch es gibt Argumente, die dagegen sprechen. So fliesst ein Tropfen, der unweit südlich des Tomasees und auf Tessiner Gebiet in den Lago Scuro fällt, fünf Kilometer weiter bis zum Zusammenfluss von Vorder- und Hinterrhein in Reichenau. Nimmt man also den Fliessweg als Kriterium, so entspringt der Vorderrhein im Lago Scuro und fliesst durch das Val Medel, bis er sich bei Disentis mit den Wassern aus dem Tomasee vereinigt. 

Einfacher scheints beim Hinterrhein, dessen Quelle bekanntlich am Rheinwaldhorn liegt. Oder etwa nicht? Auch hier: Der am weitesten vom Zusammenfluss entfernte Zufluss entstammt einem ganz anderen Ort, nämlich einem Seitenarm des Landwassertals: Es ist der Dischmabach. Dieser ergiesst sich in die Landwasser, diese in die Albula und diese wiederum in den Hinterrhein. 72 Kilometer von der Quelle bis Reichenau gelten für den Dischmabach, nur 64 für den Rheinwaldhorn-Hinterrhein.

Ab in den Stollen

Doch wir wollen unseren Tropfen nicht weiter verwirren. Wir wählen jene Quelle, auf die man sich geeinigt hat, auch weil sie topografisch Sinn macht, liegt sie doch in der Verlängerung des Vorderrheintals. Endlich lassen wir ihn also in den Tomasee fallen, wo er seine 1230 Kilometer weite Reise beginnt (und nicht etwa 1320 Kilometer, wie das an der Rheinquelle angebrachte Schild irrtümlicherweise behauptet. Dabei wollten wir ihn ja nicht weiter verwirren …). Fröhlich springt der Tropfen als Teil des Rein da Tuma von Stein zu Stein, freut sich des Lebens und Fliessens, sieht sich bereits wilde, unberührte Landschaften durchstreifen – bis er nach kaum zwei Kilometern in einem Schacht verschwindet. Dunkel ists und eng, und das für eine ganze Weile. Erst fünf Kilometer später spuckt der Stollen den Tropfen in den Lai da Curnera, den Stausee im System der Kraftwerke Vorderrhein. Und weiter geht es erst mal nicht.

Wir – und unser Tropfen – merken ein erstes Mal: Der Rhein, den wir sehen, ist meist nichts als jenes Restwasser, das nicht von den Kraftwerken zur Stromproduktion genutzt wird. Wahrscheinlicher als freies Fliessen ist es im Leben eines Wassertropfens, in einem Stollen oder einem Stausee zu landen. 
Nun dreht unser Tropfen seine Runden im Stausee, gemeinsam mit 40 Millionen Kubikmetern anderem Wasser (wir frischen auf: ein Kubikmeter ist gleich 1000 Liter, wir sprechen also von 40 Milliarden Litern – oder fast 266 666 667 Badewannen). Wäre 2014, könnte der Tropfen vielleicht einen Blick auf den Hollywood-Schauspieler Tom Cruise erhaschen, der damals einen Agenten auf Alienjagd spielte. Die Staumauer Curnera diente den aus­serirdischen Besuchern als Geheimversteck («Edge of Tomorrow» hiess der Film).
 

Der Stausee Lai da Sontga Maria am Lukmanierpass. (Foto: Jakob Menolfi)

Vom Paradies in die Hölle

Vielleicht wünscht sich unser Tropfen nun, er wäre doch am Rheinwaldhorn gelandet. Er stellt sich vor, wie er dort auf den Paradiesgletscher fällt und für einige Jahre festfriert, bis er sich endlich loseisen und ostwärts fliessen darf, zur Mündung hin. Zuerst aber vorbei an der Zapporthütte, die 1872 gebaut wurde, damals noch am Rand des Gletschers. Heute blickt die SAC-Behausung auf eine Geröllfläche, das Eis hat sich weit zurückgezogen.

Vom Paradies sind es nur wenige Meter, und der Bach stürzt sich in die Hölle. So heisst die schwierigste Passage, die Wanderer auf dem Weg zum Ursprung des Hinterrheins zu bewältigen haben. Das Wasser ist nurmehr zu hören, nicht zu sehen, in der Hölle tosts und rauschts, hat es sich doch über Jahrtausende tief in den Fels gegraben.

Die Hölle: Der junge Hinterrhein gräbt sich in Fels und Eis. (Foto: Julian Reich)

Beim Zapportstafel machen Tal und Bach einen Schwenk und führen nun nach Nordosten. Der junge Hinterrhein fliesst hin und her zwischen Stein und Kies, bereits ansehnlich gespiesen von mehreren Nebenbächen. Es ist eine Landschaft von nationaler Bedeutung, und zwar gleich doppelt. Die Armee, die in Hinterrhein seit 1965 einen ihrer grössten Schiessplätze betreibt, kümmert sich um die biologisch wertvollen Wiesen und Wasser, wenn sie nicht gerade scharfes Geschütz zum Explodieren bringt. Hin und wieder fahren deshalb Panzer durch das Flussbett, und zwar um «die Flussdynamik zu simulieren», wie es auf der Webseite der Armee heisst. Und, geradezu poetisch: «Der Wasserlinie entlang sammelt die Gebirgsstelze balancierend ihre Insektennahrung.»

Im Tal des Rheins

Am San-Bernardino-Tunnel vorbei, zuerst unter der schönen Neuen Landbrücke von 1823, dann unter der noch schöneren Alten Landbrücke von 1693, gelangt der Hinterrhein bald nach Hinter­rhein, dem letzten – oder eben ersten – Dorf des Rheinwalds. Zeit für ein wenig Namenkunde: Das Rheinwald hat mit einem Wald nur wenig zu tun. 1274 wird es als «Val rheni» urkundlich erwähnt, als Tal des Rheins, woraus aber schon bald «Rheinwald» wurde, sozusagen ein Übersetzungsfehler. Der Name «Rhein» wiederum, lateinisch Rhenus, ist ein überaus altes Wort. Als Ursprung sei ein vorgeschichtliches, indogermanisches «Reinos» anzunehmen, das «Fluss» oder «Strom» meint, erklärt uns das historische Lexikon der Schweiz. Was ja durchaus Sinn macht: Für die Benennung von Landschaften benutzte man eben das Wort, das am nächsten lag. Wo etwas fliesst, heisst es «Fluss». So erklärt sich ausserdem, dass der Rhein von der Mündung bis zu den Quellen denselben Namen trägt. Und so mancher Zufluss eben auch.

Unseren Tropfen kümmert das alles wenig. Denn jetzt geht es erst mal durchs «Nüland», ein Stück Talboden, das mit dem Ausbruchmaterial des San-Bernardino-Tunnels 1967 geschaffen wurde. Plötzlich wirds wild, und unser Tropfen wird arg durchgeschüttelt: Seit 2012 produziert das Kleinwasserkraftwerk Nüland Strom für die Einheimischen. Hinter­rhein wurde damit quasi energieautark. Dank der 0,8 Gigawattstunden, die der Rhein hier ein erstes Mal produziert. 

Das Tal des Rheins: Blick ins Rheinwald. (Foto: Demateo/Viamala Tourismus)

Nun fliesst der Fluss also durch sein Tal, das Rheinwald, vorbei an Hinterrhein, Nufenen, Medels, Splügen, Sufers – bis er eben nicht mehr fliesst, sondern staut: im Sufnersee. Hier vereint sich der Hinterrhein mit Wasser aus Italien, das im Stausee Valle di Lei gefasst, in Ferrera erstmals turbiniert und dann per Stollen nach Sufers geleitet wird.

Der 16 Millionen Kubikmeter (oder 107 Millionen Badewannen) fassende Sufnersee ist eine vage Erinnerung daran, was vor 80 Jahren eigentlich geplant war. Damals sahen unterländer Strombarone bereits einen noch viel grösseren Stausee vor sich, dessen Mauer unterhalb von Splügen angesetzt werden sollte – und hinter der Mauer 280 Millionen Kubikmeter Wasser, in denen Splügen und Medels versunken wären, ebenso das schönste Weideland des Tals (1,87 Milliarden Badewannen gross, übrigens). Doch die Rheinwaldnerinnen und ihre Männer fochten einen geradezu epischen Kampf aus gegen die energiehungrigen Tycoone, betrieben schweizweit Kampagnenarbeit und konnten mit viel öffentlichem Druck endlich den Bundesrat dazu bringen, das Projekt nicht zu bewilligen. Als Alternative entstand das heutige System der Kraftwerke Hinterrhein vom Valle di Lei über Ferrera, Sufers, Bärenburg und bis nach Sils i. D.

Endlich im eigenen Bett

Aber erinnern wir uns zurück an den Tropfen im Lai Curnera, auch er ist gefasst in einem System von Schächten, Stollen und Seen. Als Nächstes geht es unterirdisch in den Lai Nalps, wo sich das Wasser mit jenem aus dem Lai Sontga Maria mischt, jenem See, in dem sich der Medelser Rhein staut. Vom Lai Nalps führt ein neuer Stollen hinunter nach Sedrun und treibt dort drei Peltonturbinen an. Jetzt noch 27,5 Kilometer durch den Berg nach Tavanasa, in die grösste Zentrale der Kraftwerke Vorderrhein. Und nachdem er erneut erneuerbare Energie – insgesamt sind es bereits 828 Gigawattstunden – geschaffen hat, darf sich der Vorderrhein endlich in sein endgültiges Bett legen. Und hinab in Richtung Ilanz fliessen.

Je nach Tageszeit hat unser Tropfen mehr oder weniger Begleitung: Die Messstation Ilanz verzeichnet Mitte April beispielsweise innerhalb von 24 Stunden einen minimalen Abfluss von 11 Kubikmetern pro Sekunde, maximal sind es 56 Kubikmeter. Die Schwankung lässt sich auf Niederschläge, aber auch – und vor allem – auf den Verbrauch durch die Kraftwerke zurückführen. 
Dabei fehlt unserem Rhein bald etwas: Nämlich jenes Wasser, das früher vom Zervreilahorn durch den Valser Rhein in den Vorderrhein floss. Dieses wird seit 1957 im 100 Millionen Kubikmeter – oder 667 Millionen Badewannen – fassenden Zervreila-Stausee gesammelt und über Safien nach Rothenbrunnen gelenkt (wo es 557 Gigawattstunden Strom erzeugt). Dort findet es sich, vielleicht ein wenig überrascht, im Hinterrhein wieder und nicht im Vorderrhein.

Zuweilen tosts und stürmts: Der Hinterrhein im Eingang der Viamala. (Foto: Jano Felice Pajarola)

Wilde Wasser, schlechte Wege

Aber so weit sind wir noch nicht. Unser zweiter Tropfen – respektive das Wasser, das von Sufers nicht direkt durch den Fels nach Sils geleitet wird – fliesst nun durch die Rofflaschlucht, fällt über den seit 1914 begehbaren Wasserfall und landet endlich im Schams. Mittlerweile hat der Hinterrhein den Averser Rhein aufgenommen und schlängelt sich durchs liebliche Val Schons, von den Schuttkegeln der Seitentäler mal nach links, mal nach rechts gedrängt. Bei Hochwasser kam es in früheren Zeiten regelmässig vor, dass ganze Gebiete überschwemmt wurden, der heutige Badeort Andeer war mehr als ein Mal Opfer der wilden Wasser.

Apropos wilde Wasser. Bald sind wir in der Viamala-Schlucht, dem «schlechten Weg». Ihre Passage war jahrhundertelang berüchtigt, heute nur noch berühmt. Schon die Römer begingen sie auf ihren Feldzügen, der Viamala-Brief von 1473 verpflichtet die anliegenden Gemeinden dazu, den Weg zu pflegen, wofür sie das Transportmonopol erhielten, 1823 dann der Bau der neuen Commercialstrasse und die Geburt des Tourismus. Hier sind Dichter und Denker vorbeigekommen, Goethe natürlich und Nietzsche auch, und manch schönes Wort ist überliefert darüber, was den Menschen in der Schlucht begegnete.

Etwa von Friederike Brun, einer deutschen Schriftstellerin und Freundin Goethes: «Ich stieg über die Brustwehr und nahm Besitz von der schauerlichen Stätte! Die Sonne warf eben den ersten Blick durch die entsetzliche Spalte. Die magische Wirkung dieser Erscheinung auf das grün im Schaum zerkochende Gewässer, auf die mit Wassertuff und Moosgrün angeflogenen Höhlen und Ränder der Stromkluft. Ich vergass, dass ich über Grab und Tod, auf einem Häufchen gerollter Steine hing: Dieser allmächtige Götterblick zog mich aus mir selbst empor!».

Nicht empor, sondern hinunter hat sich der Hinterrhein tief in den Bündnerschiefer gefressen, hat ausgespült und weggetragen – doch seit die Kraftwerke Hinterrhein 1960 das Wasser direkt von Bärenburg nach Sils leiten, ist es auch hier lediglich Restwasser, das in der Tiefe plätschert. Natürlich, bei Hochwasser tosts auch heute noch, aber man stelle sich das Geräuschbild vor, das hier früher herrschte.

Heraus sind wir aus der Viamala, vorbei am hohen Fels von Hohenrätien. Von links ergiesst sich der ehemals wilde Nolla in den Rhein, der zu Zeiten so viel Geschiebe vom Heinzenberg herunter getragen hatte, dass sich der Rhein bis zu sieben Meter hoch staute – die anschliessende Flutwelle war noch im Bodensee zu spüren. Auch der Nolla hat in den letzten 200 Jahren viel von seinem Schrecken verloren, Verbauungen sei dank, doch schwarz vor Schieferschlamm ist sein Wasser noch immer regelmässig.

Anders die Albula, die «Weisse», die bei Sils dem Hinterrhein zufliesst (wir erinnern uns). Und mit ihr das in Bärenburg abgezwackte Hinterrhein­wasser, das über alle Kraftwerkstufen bis hierhin 1383 Gigawattstunden Strom produziert hat. 

Schnurgerade: Der Rhein im Domleschg.

Fluss, Bahn, Auto – und Öl

Durchs Domleschg fliesst der Rhein gerade wie eine Schnur, links die Rhätische Bahn, rechts die Autobahn. Und irgendwo im Untergrund liegt eine 60 Jahre alte Ölpipeline: Die «Oleodotto del Reno», gebaut 1966, verbindet den Hafen von Genua über den Splügenpass mit Ingolstadt. Inzwischen fliesst längst kein Öl mehr durch den Boden, und die Besitzer wollen die Anlage, nachdem sie unter anderem als Erdgaslager genutzt wurde, endgültig stilllegen – und im Boden lassen. Naturschutzorganisatoren wiederum fordern einen vollständigen Rückbau, da sie die meist gewässernahen Altlasten fürchten. Jüngst sandten die Kantone St. Gallen und Graubünden die Meldung aus, dass die Leitung dereinst für den Transport von Wasserstoff und Strom genutzt werden könnte. Wir werden sehen.   

Zurück ins Wasser. Dass der Rhein im Domleschg nicht mehr wie noch vor 200 Jahren frei durch den Talboden mäandriert, war eine ingenieurtechnische Meisterleistung – und wurde mit viel Schweiss und Leid erkauft. Der Kanton Graubünden pflegte nämlich, die in der «Zwangsarbeitsanstalt Fürstenau» und der «Arbeitsanstalt Realta» Versorgten für die Gewinnung von fruchtbarem Ackerland einzusetzen: Straftäter, psychisch Kranke und auch Personen mit sogenannt «liederlichem Lebenswandel». Die Vorgängerorganisationen der Justizvollzugsanstalt Realta und der Psychiatrischen Klinik Beverin «korrigierten» zugleich Mensch als auch Natur.

Wilde Land­schaft: Blick in die Ruinaulta. (Fotos: Yanik Bürkli)

Frei durch die Ruinaulta

Wild und ungezähmt aber darf jetzt erst mal der Vorderrhein fliessen, zu dem wir nach Ilanz zurückkehren. Nachdem er mit dem Glenner seinen grössten Nebenfluss aufgenommen hat, gelangt er nämlich in den schönsten Teil seines Laufs, die Ruinaulta. Der Vorderrhein hat sich hier durch jene Massen gearbeitet, die vor rund 10 000 Jahren vom Flimserstein fielen. Es war der grösste bekannte Bergsturz der (geologisch gesehen) jüngeren Geschichte. Der Name Ruinaulta stammt von den «Ruinas», den Geröllhalden respektive den hoch aufgetürmten Nadeln, die der Rhein noch nicht dem Flussbett gleich gemacht hat. Dieses hat sich seit dem grossen Dammbruch, der sich nach der Auffüllung des sogenannten «Ilanzersees» ereignete, wieder auf jenes Niveau hinunter gearbeitet, das es vor dem Bergsturz hatte (siehe auch TG 04/­2021).

Vielleicht sieht der Tropfen hier und dort Menschen, die sich zu Fuss durch die Schlucht bewegen, oder aber jene Waghalsigen, die sich in Kajaks und Schlauchbooten in die Fluten werfen. Hin und wieder fährt sogar ein roter Zug vorbei. Die Rhätische Bahn baute 1902 ein Trassee durch die Rheinschlucht, von dem aus sich die wilde Szenerie gemütlicher erfahren lässt. 
Auch der Hinterrhein gelangt nach Rothenbrunnen in freieres Gelände: Die Rhäzünser Rheinauen. Dass er hier noch fliessen darf, wie er will, ist nicht selbstverständlich. Als in den 1960er-Jahren die Nationalstrasse in Richtung San Bernardino projektiert und gebaut wurde, war zunächst eine Linienführung durchs offene Gelände, also just durch diese wertvolle Naturlandschaft geplant. Die lokale Bevölkerung wehrte sich, die Bundesräte Kurt Furgler und Hans Hürlimann nahmen einen Augenschein – und so kam es zur teureren, aber landschaftsschonenderen Variante mit den beiden Tunneln Plazza und Isla-Bella, die 1984 endlich eröffnet werden konnten. Die A13-Brücke, die dafür nötig wurde, besitzt seit letztem Jahr einen angehängten Steg, der Wanderungen und Velotouren in der Gegend um einiges einfacher macht als all die Jahre zuvor. 

Wo die Rheine sich treffen: Reichenau.

Zwei letzte Schlenker noch, und schon trifft man sich, ob nun vom Rheinwaldhorn oder vom Tomasee stammend, ob Hinter- oder Vorderrhein, bei Reichenau. Und wird zum grossen Alpenrhein. Noch 1155 Kilometer bis zum Meer.

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Autor

Autor Julian Reich ist Redaktionsleiter der «Terra Grischuna». julian.reich@somedia.ch