​Die Königsklasse des Zufussgehens

Weitwandern Graubünden

Blick auf Curaglia und den Piz Muraun. (Foto: Sedrun Disentis Tourismus/M. Nutt)

Ein Traum – tagelang zu wandern
Graubünden ist Weitwanderland: Das Angebot an mehrtägigen Touren auf Schusters Rappen ist gross. Auf den 11 000 Kilometer Wander­wege sind sowohl Kurzexkursionen wie auch mehrtägige Angebote möglich. Davon profitiert auch der Bündner Tourismus.
Text 
Olivier Berger

Hermann Hesses Goldmund würde sich verwundert die Augen reiben, Lydia Welti-Escher hätte kaum Verständnis. In Hesses «Narziss und Goldmund» erkundet Goldmund die Welt jenseits der Klostermauern – natürlich zu Fuss, wie es zu jener Zeit, in welcher der Roman spielt, noch üblich war. Der Schweizer Schriftsteller Lukas Hartmann schickt in seinem aktuellen Werk «Ein Bild von Lydia» die skandalumwitterte Tochter des grossen Schweizer Pioniers Alfred Escher zu Fuss von Italien durch Graubünden ins Zürcher Oberland. Zufussgehen war während langer Jahre die einzige Art der Fortbewegung, die sich die niederen Stände leisten konnten. Wer aber etwas auf sich hielt und das nötige Kleingeld besass, bewegte sich zu Pferd oder in der Kutsche fort.

Parallel zu den – erst unabdingbaren, ab der Romantik auch zur Horizonterweiterung unternommenen – profanen Fusswanderungen entwickelte sich schon in vorchristlichen Zeit das Pilgern. Aus Asien sind schon aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert Pilgerreisen zu buddhistischen Reliquien und Heiligtümern belegt; in der Antike zog es die Menschen zum Artemistempel von Ephesos und ins Apollonorakel von Delphi. Seine erste Hochblüte erreichte das Pilgern ab dem Mittelalter. Mit dem Ausbau der Eisenbahnen, der Motorisierung und der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft geriet es in Vergessenheit. Eine Renaissance erlebt es spätestens, seit der deutsche Kabarettist Hape Kerkeling seinen Jakobsweg-Bestseller «Ich bin dann mal weg» auf den Markt gebracht hat.

 

Weitwandern Graubünden

Ausblick von Liets in die Surselva. (Foto: Surselva Tourismus)

Andere regionale Mehrtagestouren

Überhaupt lässt sich nicht nur die Surselva auf einem regionalen Weitwanderweg marschierend durchmessen. Regionale Mehrtagestouren boomen offenbar, wie der Blick auf die buchbaren Angebote zeigt. Mittelbünden etwa lockt mit einem eigenen Panoramaweg, der von der Lenzerheide durch das Schanfigg nach Davos führt. Mit rund 40 Kilometer Länge ist er zudem auch für weniger hartgesottene Wandervögel zu bewältigen. Sogar noch etwas kürzer ist mit knapp 35 Kilometern die Via Bregaglia, die reizvolle Einblicke in Landschaft und Kultur des Bergells bietet. Mit Ausblicken auf den Rätikon, eines der schönsten Gebirge der Ost­alpen, kann rechnen, wer sich auf die 63,2 Kilometer Wegstrecke des Prättigauer Höhenwegs begibt. Sowohl als rund 70 Kilometer lange Rundtour mit Erkundung beider Talseiten wie auch in Einzel­etappen sehr beliebt ist schliesslich der Schanfigger Höhenweg, der in seiner vollen Ausgestaltung von Chur nach Arosa und zurück in die Bündner Kapitale führt.

«Nur wo Du zu Fuss warst, bist Du auch wirklich gewesen», hat der deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe gesagt. Goethe gehörte zu jenen, die es sich leisten konnten, sich über die Alpen nach Italien und zurück in der Kutsche chauffieren zu lassen. Dennoch konnte auch er das Wandern nicht bleiben lassen. Am 12. Oktober 1799 etwa überquerte er die Grosse Scheidegg; seine Besteigung des Brocken in Deutschland hat er in seiner ganzen damaligen Dramatik literarisch verewigt. Insofern ist auch denkbar, dass Hesses Goldmund, so er denn die Wahl gehabt hätte, trotz Eisenbahn und Auto zu Fuss aufgebrochen wäre. Und jetzt gar nicht so sehr den Kopf schütteln würde ob all den Mehrtageswanderern.

Weitwandern Graubünden

Auf dem Weitwanderweg mit Blick ins Domleschg. (Foto: Andrea Badrutt)

Weitere Infos

Autor 
Olivier Berger ist Redaktor der «Südostschweiz» und berichtet regelmässig in der «Terra Grischuna». Er lebt in Chur.

Online 
www.baw.gr.ch, www.graubuenden.ch, www.wandern.ch, www.schweizmobil.ch