Bündner Schauspielerin in Berlin: Ursina Lardi
Die Bühne und der Film, das sind die zwei Welten, in denen Ursina Lardi ihre Schauspielkünste auslebt, einen wirklichen Favoriten gibt es nicht. Die Bühne steht für Zeit und Experiment, der Film für Präzision der Arbeit und gutes Geld. Die Unterschiede der beiden Spielorte sind für sie jedoch entscheidend: Auf der Bühne gibt es dank grosszügiger Probezeiten die Möglichkeit des Herantastens an eine Figur, des Ausprobierens. Auch die Möglichkeit der Wandlung der zu spielenden Figur ist weit grösser als im Film: Zurzeit spielt sie ein 14-jähriges Mädchen im Stück «Karamasow», einen tyrannischen König Ödipus als Titelrolle in der gleichnamigen Inszenierung oder eine alkohol-kranke Adlige. Im Film indes sind die Möglichkeiten kleiner, da stellt sie halt einfach die eigene Erscheinung dar – sich selbst eben.
Ihr Talent für die Schauspielerei entdeckt hat der Leiter des Stadttheaters in Chur, wo Lardi neben ihrer Ausbildung am Lehrerseminar bisweilen auf der Bühne stand. Auf seinen Rat hin meldete sie sich an der Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin an und wurde – zu ihrer eigenen Überraschung – angenommen. Das war 1992 und seither ist Berlin ihr Lebenszentrum. Nach der Schule war ihre Tätigkeit zunächst geprägt durch das Engagement an verschiedenen deutschen Schauspielbühnen: in Hamburg, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf und Hannover. Das waren nicht immer einfache Zeiten: Lardi spricht von «Flauten», die es gab, und in dieser Phase waren dann Angebote für Rollen in Kinofilmen eine gern gesehene Abwechslung, verbunden mit einem Zustupf an den Lebensunterhalt.
Ursina Lardi im Theaterstück "Karamsow" nach Dostojewski auf der Schaubühne Berlin
Doch die Bühne wollte sie nicht missen, früher gab es ja eine strenge Trennung zwischen Schauspiel- und Filmakteuren, das ist heute nicht mehr so. Kontinuierlich hat sie ihre Bühnenkarriere an der Seite von namhaften Kolleginnen und Kollegen wie Nina Hoss, Lars Eidinger oder Angela Winkler weiterverfolgt, die Regisseure ihrer Rollen in nicht selten sehr experimentellen Stücken waren Thorsten Lensing, Einar Schleef und Thomas Ostermeier. Gefragt nach der Wahl der Regisseure, wenn es denn eine gibt, meint Lardi, am schönsten finde sie die Zusammenarbeit in einem diskursiven Rahmen, in einer schöpferischen Atmosphäre, wo ihre Meinung ebenso einfliessen kann wie diejenige der anderen Schauspieler und der Regie. Entsprechend sind denn auch nach der Probezeit die Aufführungen: Jedesmal ein künstlerischer Akt, jeder Abend ist neu und verzeiht mit einiger Fantasie auch Fehler! Für sie das Höchste an Anspannung sind die Soloabende, die sie teils auch mit Musik und Geräuschen spielt: Da ist höchste Konzentration gefragt, denn die Musik wie im zeitgenössischen «Lohengrin» – einer Sprechoper von Salvatore Sciarrino in der Staatsoper – spielt rücksichtslos weiter.
Zurzeit ist ihr Spielplan voll; neben Aufführungen in Berlin stehen auch zahlreiche Gastspiele mit Berliner Inszenierungen auf dem Programm. Ein neues Projekt nimmt Lardi im September gemeinsam mit dem Berner Regisseur Milo Rau in Angriff. Der Preisträger des Schweizer Theaterpreises 2014 probt ein Stück für die Schaubühne mit dem Titel «Empire» als dritter Teil von Raus Europa-Trilogie.
Ursina Lardi im Film "Traumland"
Sommerferien sind wie in früheren Jahren nur kurz eingeplant, denn die Sommerzeit nützt Lardi für die Arbeit an Filmen und Fernsehfilmen. Ihre ersten Rollen im Fernsehen hatte sie im «Tatort» und im «Polizeiruf 110». Gerade die «Tatort»-Produktionen haben es ihr angetan: «Wenig Arbeit, gutes Geld und zehn Millionen Zuschauer», das sei einmalig. In der Tat gibt es im deutschen Fernsehen mit Ausnahme des Fussballs keinen anderen Strassenfeger wie den «Tatort», und da mitzuwirken mache einfach Spass. Geplant hat Lardi in diesem Sommer einen «Tatort» und erneut ein Mittwoch-Fernsehspiel für die ARD. Bei den Dreharbeiten für die Krimiformate der ARD hat Lardi denn auch schon verschiedentlich mit Schweizer Regisseuren zusammengearbeitet: Sie stand vor der Kamera für Markus Imboden, Florian Froschmeyer und Christian von Castelberg. Für Markus Imboden hat sie auch im Kinofilm «Der Verdingbub» mitgewirkt, in den vergangenen zwei Jahren hatte sie zudem in zwei Kinoerstlingen von jungen Schweizer Regisseurinnen gewichtige Rollen. Für ihre Hauptrolle in «Traumland» von Petra Volpe hat sie aus den Händen der Zürcher Stadtpräsidentin Corinne Mauch den Preis für die beste Schauspielerin erhalten. Ihre letzte Arbeit vor einer Schweizer Kamera war die Rolle der Alice im Film «Unter der Haut» der Regisseurin Claudia Lorenz. Dieser Film eröffnete in diesem Jahr die Solothurner Filmfestspiele und brachte Ursina Lardi erneut eine Nomination als beste Darstellerin ein. Die Rolle der Alice ist ihr denn richtig ans Herz gewachsen: Nicht nur, dass die Frau, die herausfindet, dass ihr Mann eigentlich homosexuell ist, sehr präsent und häufig überraschend wirkt, ja über sich hinauswächst, diese Frau sei auch so «normal, einfach nur normal mit einem ganz klaren Rollenverständnis, sodass es ihr nicht im Traum einfallen würde, dass ihr Mann schwul sein könnte».
Ursina Lardi als "Ödipus" auf der Berliner Schaubühne (Foto Arno Declair)
Ansonsten ist ihr Verhältnis zur Schweiz und zur Schweizer Kulturszene marginal: Ihr Lebenszentrum ist – ein Zufall eben – Berlin, ihre Familie in Chur besucht sie zwei-, dreimal pro Jahr und erst durch die Auszeichnung zur besten Schauspielerin kam sie erstmals eigentlich mit der Schweizer Kulturszene etwas in Kontakt. Theater habe sie mit Ausnahme ihrer Anfänge im Churer Stadttheater nie gespielt, es «ergab» sich einfach nicht. Das soll sich nun ändern: Bühnengastspiele am Schauspielhaus in Zürich und an der Zürcher Oper sind bereits terminiert.
Ihre Heimat sei Graubünden, in ihrer Jugend habe jenseits der Kantonsgrenze das Ausland begonnen, den Rest der Schweiz habe sie nur beiläufig erkundet. Gerne erinnert sie an ein Zitat des «Mitbündners» und Filmregisseurs Daniel Schmid: «Ich bin ein Bündner mit europäischem Pass.» Und ergänzt, dass gerade angesichts der künstlich überspitzten Figuren in Schmids Filmen sie «liebend gerne bei ihm mitgewirkt hätte». So blieb es bei einem kurzen Zusammentreffen mit Schmid am Caumasee in Flims.