Die Fassade der Klosterkirche in Disentis vor der Instandsetzung. (Foto: Denkmalpflege Graubünden)
Die Denkmalpflege-Fachstellen in der Schweiz gibt es aus einem klaren Auftrag der Eidgenossenschaft heraus. So heisst es im Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz in Artikel 25 unter Absatz 2: «Die Kantone bezeichnen Fachstellen für den Naturschutz, den Heimatschutz und die Denkmalpflege.» Die genauen Aufgaben der Denkmalpflege werden dann über die kantonalen Gesetzgebungen geregelt. Der Kanton Graubünden hat mit dem kantonalen Natur- und Heimatschutzgesetz von 2010 eine der modernsten solcher Gesetzgebungen. Dieses Gesetz bezweckt unter anderem «die Erhaltung und die Pflege des kulturgeschichtlichen Erbes, insbesondere wertvoller Ortsbilder, Gebäudegruppen und Einzelbauten, deren Ausstattung und Umgebung …» Um diesen Zweck zu erfüllen, weist das Gesetz die Denkmalpflege an, ein Inventar zu erstellen, Unterschutzstellungen zu beantragen, Subventionen auszuzahlen und überhaupt Massnahmen zugunsten des baulichen Kulturerbes zu fördern. Aus dieser gesetzlichen Aufgabe heraus hat sich die Denkmalpflege organisiert. Die Grundpfeiler der Abteilung Denkmalpflege, welche zum Amt für Kultur gehört, sind die Bauberatung, das Inventar, die Administration und die Grundlagenarbeit. Diese vier Grundpfeiler kann man in eine chronologische Reihe stellen und man bekommt vom Tagesgeschäft der Denkmalpflege, zumindest idealisiert, eine sehr gute Vorstellung: Am Anfang der denkmalpflegerischen Tätigkeit steht das Inventar.
Die Inventarisierung bildet die Grundlage für sämtliches Handeln, weil das Inventar definiert, um welche Objekte sich die Denkmalpflege überhaupt kümmert. Durch das Festlegen und Bezeichnen der Objekte ist für Eigentümerschaft und Gemeinden klar, wo die Denkmalpflege beizuziehen ist. In der Folge tritt dann bei einem Vorhaben an einem solchen Objekt die Bauberatung in Aktion. Sie berät, auch aufgrund des Inventars, die Bauwilligen, wie mit dem denkmalpflegerisch relevanten Objekt umzugehen ist. Welche Baumaterialien können verwendet werden? Welche Eingriffe sind am Objekt möglich? Welche Experten sind vielleicht zusätzlich beizuziehen? Die Bauberatung stellt dabei eine Dienstleistung dar und soll möglichst frühzeitig zusammen mit Bauherrschaft und Architekt deren Wünsche denkmalverträglich in einem Projekt umsetzen. Stimmen diese Massnahmen und stellt der Eigentümer ein entsprechendes Beitragsgesuch, wird durch den Bauberater geprüft, wie viel beitragsberechtigte Kosten im Projekt stecken. Ein Teil dieser Kosten wird dann mittels einer Beitragsverfügung dem Eigentümer vor Baubeginn als Subvention zugesichert. Die Ausformulierung der Zusicherungen und vor allem die Planung und Deklaration dieser Gelder auch in der zentralen Datenbank obliegen den Administratorinnen der Denkmalpflege. Sie sitzen an der Schaltstelle, wo alles hindurchläuft. Last but not least spielt für Inventar, Bauberatung und Administration die Grundlagenarbeit eine erhebliche Rolle. So führt die Denkmalpflege eine Bibliothek und ein Archiv. Wissenschaftliche Mitarbeitende recherchieren und schreiben Artikel für den internen und externen Gebrauch oder entlasten die Bauberater zum Beispiel in der Raumplanungsarbeit. Ein zugegebenermassen etwas idealisiertes Bild, welches sich über Gesetzte, Verordnungen und Organigramme ergibt. Wie sieht das nun aber konkret aus? Dafür zeige ich zwei Beispiele aus meinem Arbeitsalltag auf.
Zum Artikel über die Kirchenglocken
Eines der medienwirksamsten Projekte im Moment ist die Restaurierung der Klosterkirche St. Martin in Disentis. Die mächtige Barockkirche wird in mehreren Etappen innen und aussen restauriert. Angefangen hat man 2016 mit der Südfassade. Diese war stark verwittert und es drohten Teile des Verputzes abzustürzen. Die Fragen, die sich uns stellten, sind für die meisten Objekte der Denkmalpflege exemplarisch: Wie ist der Istzustand zu beurteilen? Welche konservatorisch notwendigen Massnahmen sind zu treffen? Welches Endbild wird angestrebt? Im Fall der Südfassade der Klosterkirche wurde der Zustand bereits einmal 2007 beurteilt. Diese Beurteilung musste erneuert und ergänzt werden. Das Ergebnis war die Erkenntnis, dass sich der Zustand noch einmal drastisch verschlechtert hatte. Bei der letzten Renovation in den 1950er-Jahren wurde ein komplett neuer Fassadenputz auf den ursprünglichen Putz aus dem 18. Jahrhundert aufgetragen. Wie in dieser Zeit üblich, enthielt der Putz sehr viel Zement, was ihn hart und wasserundurchlässig macht. Das Ergebnis war eine harte, deckende Schicht, welche sich vom Untergrund zu lösen drohte, oder bereits zu grossen Teilen abgelöst war. Da diese harte Deckschicht auch schädlich für das ganze Gebäude war, wurde aus konservatorischen Gründen entschieden, diese komplette Schicht zu entfernen und einen neuen unbedenklichen Putz aufzutragen.
Als Mitarbeiter der Denkmalpflege und vor allem als Bauberater derselben hat man es im täglichen Umgang mit Bauwilligen immer wieder mit hartnäckigen Vorurteilen zu tun. So gehen die Bauherren noch immer davon aus, dass an einem geschützten Haus keine Veränderungen möglich sind. Oder aber, dass es immer mehr Zeit und Geld kostet, wenn die Denkmalpflege im Spiel ist. Die erste Herausforderung in der täglichen Arbeit mit dem Denkmal ist für mich und die Mitarbeitenden der Denkmalpflege darum, diese Vorurteile zu durchbrechen. In der Folge möchte ich aufzeigen, was die Denkmalpflege nun genau tut. Was ist unsere Aufgabe und wie beraten wir Eigentümer mit historischen Liegenschaften. Ich hoffe, dass am Schluss die Frage des Titels mit einem klaren Nein beantwortet werden kann.
Die Klosterkirchenfassade nach der Renovation. (Foto: Denkmalpflege Graubünden)
Aus denkmalpflegerischer Sicht wäre natürlich eine Reparatur des Bestands anzustreben gewesen. Denn auch die Schicht aus den 1950er-Jahren gehört zur Geschichte des Gebäudes und somit zur historischen Substanz. In diesem Fall war die Sachlage aber klar und die Entscheidung, welche gemeinsam mit den Baufachleuten und der Leitung des Klosters getroffen wurde, sicher nachhaltiger für das Bauwerk. Nun stellte sich aber die Frage nach dem Endbild umso mehr. Wie schon in den 1950er-Jahren mussten nämlich auch sämtliche architekturbegleitenden Malereien an der Fassade erneuert werden. Es gab nun drei Möglichkeiten: Ein komplett neues System wird erstellt, das System der 1950er-Jahre wird übernommen oder ein älteres System wird wiederhergestellt. Bei der Abnahme des Putzes konnte tatsächlich ein früheres, wohl aus dem 18. Jahrhundert stammendes Dekorationssystem gefunden werden. Leider war dieses aber in grossen Teilen so zerstört, dass es nicht in letzter Konsequenz auf den neuen Putz übertragen werden konnte. Das System aus den 1950er-Jahren konnte einfach auf die neue Verputzschicht übertragen werden und wurde zudem vom Konvent als angenehm bezeichnet. Die komplexe Entwicklung eines neuen Dekorationssystems musste darum gar nicht angegangen werden. Der Status quo, zumindest was die äussere Ansicht angeht, wurde also beibehalten. Auch bezüglich Materialien, Mischverhältnisse und Farben wurde man sich schnell einig. Das restaurierte Bild der Südfassade überzeugte dann alle Beteiligten. Obwohl alle Seiten gewisse Kompromisse eingehen mussten.
Manche Bausubstanz ist bisweilen in bedenklichem Zustand: Villa Elkana in Chur. (Foto: Denkmalpflege Graubünden)
Ein weiteres Projekt, das ich gerne kurz vorstelle, ist ein Haus an der Gäuggelistrasse in Chur. Das Objekt ist ein wunderbares Beispiel des Jugendstils. Es wurde 1906 durch den Architekten Emanuel von Tscharner für den Komponisten und Organisten Karl Köhl erbaut. Durch verschiedene Umbauarbeiten und die Umnutzung in ein Mehrfamilienhaus war das Haus in den letzten Jahrzehnten stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Es führte einen regelrechten Dornröschenschlaf. Die neuen Eigentümer waren von Anfang an Feuer und Flamme für das Haus. Es sollte wieder ein Einfamilienhaus werden und bereits im Vorfeld wurden eingehende Untersuchungen durch einen Restaurator durchgeführt. Im Inventar der Stadt ist das Gebäude als schützenswertes Objekt eingetragen und so nahm auch der Eigentümer schnell Kontakt mit der Denkmalpflege auf. Im Fall der Villa Elkana, wie sie heute genannt wird, war die Rolle des Denkmalpflegers eine eher spezielle. Es ging nicht darum, die Eigentümerschaft von den Werten und der historischen Substanz des Hauses zu überzeugen, sondern die Euphorie und den Drang nach der zum Teil verschwunden Ästhetik des Jugendstils etwas zu bremsen. Die Rekonstruktion ist nämlich kein denkmalpflegerisches Credo. Auch in diesem Fall konnte eine gesunde Balance zwischen den Ansprüchen der Eigentümerschaft und den Rahmenbedingungen der Denkmalpflege geschaffen werden. Die Villa Elkana wird heute von der Eigentümerfamilie bewohnt, die das Haus schätzt und die Geschichte respektiert. Das ist eigentlich das Schönste, was einem solchen Haus passieren kann.
Es gäbe noch viele solche Geschichten zu erzählen. Wenn Sie also ein Besitzer einer historischen Liegenschaft sind, kommen Sie bei uns vorbei und wir lassen Sie an unserer Erfahrung teilhaben. Damit wir alle noch lange Freude haben können am baukulturellen Erbe des Kantons Graubünden.
Jugendstilvilla nach der Renovation (Bild Yanik Bürkli)