Rezepte für eine bessere Welt

Ein kaleidoskopischer Blick auf Flims. (Foto: Livia Mauerhofer)

«Räumliche Solidaritäten» im Gelben Haus Flims
Das Gelbe Haus in Flims sucht in Zusammenarbeit mit dem Studio Other Spaces lokale Lösungen für globale Probleme.
Text 
Julian Reich

Das Gelbe Haus in Flims hat sich in den letzten Jahren mit Ausstellungen ganz eigener Art profiliert. Kein anderes Haus im Kanton setzt sich annähernd so konsistent wie kompetent mit dem Verhältnis von Architektur, Kunst, Design und der Gesellschaft auseinander, in die es eingebettet ist. Das seit 2012 von Carmen Gasser und Remo Derungs geleitete Museum hat etwa Ausstellungen zum «Mythos Chalet», 40 Jahre Snowboard in der Schweiz, Luftseilbahnen und dem Frauenstimmrecht gezeigt, und das auf immer wieder überraschende Weise. 2020 hätte man eigentlich das 20-­Jahr-­Jubiläum des Flimser Museums feiern wollen, doch Covid-19 kam dazwischen. Stattdessen nahmen Gasser und Derungs Kontakt zu einem Büro auf, mit dem drei Jahre später – also heute – eine dem Jubiläum würdige Ausstellung auf die Beine gestellt werden sollte.

Gemeint ist das Studio Other Spaces (SOS). Dahinter stecken der Architekt Sebastian Behmann und der Künstler Olafur Eliasson, und zumindest Letzterer ist durch seine Installationen in den wichtigsten Kunstinstitutionen der Welt auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Weniger bekannt ist, dass er seit nunmehr 20 Jahren mit Behmann eine Arbeitsgemeinschaft bildet, die vor zehn Jahren ebenjenen Namen SOS erhielt. Studio Other Spaces verfolgt gemäss eigener Formulierung einen experimentellen Zugang zur Entwicklung von Raum und versucht, die Grenzen der Architektur auszuloten. Und weiter: «Die Arbeit von SOS ist in ihrem Kern kollaborativ. Ihre Forschung umfasst räumliche, historische, ökologische, soziale und emotionale Parameter eines Ortes und seiner Nutzer/innen. Die Arbeit des Studios bedient sich sowohl traditioneller Werkzeuge, Produktionsmethoden und Materialien als auch modernster Designwerkzeuge und innovativen Medien.»

Das klingt vor allem einmal abstrakt. Eine Ausstellung aber ist das Gegenteil, dort werden Ideen durch Objekte konkret. Und das ist nun auch seit Oktober im Gelben Haus in Flims zu erfahren, die Ausstellung läuft ein ganzes Jahr und ist auch ausserhalb der traditionellen Touristensaison zugänglich.

Kartografierte Räume: Ein Teppich veranschaulicht die geologische Situation um Flims. (Foto: Gaudenz Danuser)

Solidarische Räume?

«Räumliche Solidaritäten» steht über der Schau, und es lohnt sich, zuerst einmal über diesen Begriff nachzudenken. In der Umkehrung könnte man sich fragen, was denn ein unsolidarischer Raum ist, und von dort ist es nicht mehr weit zu einem kritischen Blick auf die Welt von heute, in der der Kapitalismus ein weltumspannendes Geflecht der Ausbeutung von Mensch und Boden entwickelt hat. Darin verhält man sich eben nicht mehr solidarisch, sondern arbeitet zuallererst auf den eigenen Nutzen hin. Wohin uns das geführt hat, zeigt ein Blick aus dem Fenster.

Aber auch andere Konstellationen können als unsolidarische Räume betrachtet werden – ob zu Recht oder nicht, das ist ein Ansatzpunkt der Ausstellung. Damian Christinger, der als Ko-­Kurator für die Schau verantwortlich zeichnet, erklärt es so: «Es gibt dieses klassische Narrativ vom Tal-­Berg-­Gegen­satz, von Stadt gegen Land. Wir haben versucht, gegen dieses Narrativ anzuforschen.» Und das eben auf jene Art, wie es dem Studio Other Spaces eigen ist. Was diese Forschung ergeben hat, ist nun im Gelben Haus zu sehen. Nämlich, dass sich diese Räume «Stadt» und «Land» nicht so sehr als Gegensatz gegenüber stehen, sondern in solidarischer Abhängigkeit voneinander stehen.

Es beginnt im Eingangsbereich des Gelben Hauses, wo ein kreisrunder Teppich den Raum bestimmt. Zu erkennen ist nicht viel mehr als Farbflächen und Linien, bald stellt es sich als geologische Karte der Region heraus, in der Wasserläufe und sich erodierende Gebiete hervorgehoben sind. Man denkt dabei an den Flimser Bergsturz vor rund 10 000 Jahren, just zu einer Zeit, als der Mensch begann, sesshaft zu werden. Geologisch ist das noch nicht lange her, und wer die auf Rollen sitzenden Steine sieht, die sich auf dem Teppich befinden, mag sich daran erinnern, dass Landschaft per se eine ziemlich instabile Sache ist. Oder, um sinngemäss den Schweizer Schriftsteller Alex Capus zu zitieren: Topografie hat stets eine Tendenz zur Ebene. Das Unterland ist der Ort, an den sich Wasser und Stein ergiessen, in verschiedenen Tempi zwar, aber unweigerlich. 
Die Topografie urbar machen ist eine prägende Kulturleistung der Bergregionen, früher vor allem landwirtschaftlich, heute touristisch. Die Snowboardkultur ist ein gutes Beispiel, wie Urbanität und Natur zusammenfinden. Dass im Skigebiet der Weissen Arena die grösste Halfpipe der Welt steht, hat der Fotograf Gian Paul Lozza ins Bild gefasst. Das grossformatige Bild zeigt die Leuchtspur, die ein Snowboarder hinterlassen hat, als er nachts mit einer Lampe am Helm die Halbröhre hinunterfuhr.

Fotos, Texte, Hörstationen: Die Ausstellung «Räumliche Solidaritäten» ist multimedial umgesetzt. (Foto: Livia Mauerhofer)

Flüchtiges Wasser

Im ersten Stock des Museums zieht SOS in einem eigens kreierten Regalsystem Assoziationsfäden von lokalen Initiativen zu eigenen Projekten rund um den Globus. Auf der einen Seite erfahren wir etwas über das Stausee-System Zervreila, auf der anderen etwas über ein Besucherzentrum für den Ilulissat Icefjord Parc in Grönland, das ebenso von der Verfügbarkeit respektive Flüchtigkeit von Wasser erzählt.
Andere Querverweise finden sich zwischen biologischer Landwirtschaft, wie sie etwa in Fidaz von der Familie Schmid praktiziert wird, und einem Panorama-Pavillon für ein Weingut in Kalifornien, wo die Besucherinnen und Besucher durch einen tiefen Einschnitt in die Erde, quasi auf Augenhöhe mit Wurzeln und Bodenschichten, geführt werden. Resonanzen ergeben sich auch mit den Forschungen an Bodenprofilen an der Fachhochschule in Wädenswil oder lokalen Gastronomiekonzepten von Hannah Singvogel im Safiental.

«Project Ecologies», also Projektökologien nennt sich dieses Stockwerk, das collagenhaft Initiativen verbindet, die auf ihre je eigene Art Antworten auf ähnliche Fragen suchen. Dabei hat man die hinderliche Vorstellung eines Gegensatzes von Berg und Tal längst hinter sich gelassen und fragt in einem zweiten Schritt nach der Skalierbarkeit, also der Anwendbarkeit und Vergrösserungsfähigkeit der einen Idee auf andere Bereiche. Für den erstmaligen Besucher mag die Sammlung ein wenig eklektisch erscheinen, zumal es ihm überlassen bleibt, die Verbindungen herzustellen.

Ebenfalls könnte man sich fragen, ob der Fokus auf zwar innovative, aber in der Tendenz kleine Projekte nicht ausblendet, was in der Region eben nicht ideal funktioniert, wie hoch etwa die landschaftlichen Kosten des Tourismus liegen und wie die Machtverhältnisse der Region sich darin widerspiegeln. Vorwerfen kann man das dem in Berlin stationierten Büro aber nicht, ist ihre Recherche doch in gewissem Sinne dazu da, mögliche Wege in eine bessere Zukunft zu finden.

Collagierte Assoziationen: Lokale Initiativen werden im Gelben Haus Projekten von Studio Other Spaces gegenübergestellt. (Foto: Gaudenz Danuser)

Kunst als Gemeingut

Der dritte Stock stellt dafür ein schönes Beispiel ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Es fokussiert auf ein architektonisches Projekt von SOS, «Common Sky» (2019 – 23), eine Dachkonstruktion aus Glas und Spiegeln, die den Innenhof des AKG Art Museum in Buffalo, New York, überspannt. Die Stadt suchte für sein in die Jahre gekommenes Kunstmuseum eine neue Eingangshalle, die sich zwischen bestehenden Bauten aufspannen sollte. Im Wissen darum, dass Buffalo in den letzten Jahren eine starke Bevölkerungsminderung erfahren hatte, wollte das Museum für neue Publikumsschichten einen Anziehungspunkt schaffen. Die verspiegelte Dachkonstruktion verhält sich je nach Sonnenstand anders und hat durch ihre aussergewöhnliche Wirkung einen identitätsstiftenden Effekt entwickelt, der so zwar erwünscht, aber nicht planbar war. Klar wurde, dass ein öffentliches Museum der dort lebenden Gemeinschaft ein Gemeingut sein kann, eine Erkenntnis, die für viele Einwohnerinnen und Einwohner wohl neu war.

Ähnlich will sich auch das Gelbe Haus verstanden wissen, indem es einerseits auch in der Zwischensaison offen hält für jene, die ständig vor Ort leben. Dass das Dorf im Winter auf fast 30 000 Bewohnerinnen und Bewohner anwächst, spiegelt sich nun auch im Gelben Haus bildlich, pulsiert doch in den dunklen Stunden eine Lichtinstallation vor den Fenstern. Und zwar jeweils anders während der Hoch- und der Zwischensaison. 
Die Ausstellung öffnet das Haus auf eine weitere Weise. So sollen während des nächsten Jahres mehrere der vorgestellten Projekte besucht werden können, statt dass sie lediglich mit Stellvertretern in der Ausstellung präsent sind. Die Daten finden sich vorzu auf der Webseite.

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