Kultureller Aufbruch im Unterengadin

In Susch entsteht mit dem Muzeum ein neuer Kunsttempel. (Foto: zVg)

Das Engadin wird mehr und mehr zum Kunstzentrum
Mit dem Muzeum Susch kommt in diesem Winter ein weiterer Hotspot zu den bereits bestehenden Kulturorten im Unterengadin hinzu. Die Pläne der Museumsgründerin sind gross – versprochen werden nicht nur Ausstellungen von internationalen Künstlern, sondern auch Austausch und Diskussion.
Text 
Christian Dettwiler

Die Szene mit künstlerischen Aktivi­täten hat in den vergangenen Jahren das Unterengadin bereichert und so manchen zu einem Besuch motiviert. Da gibt es in Sent ein Museum Alberto Giacometti in Verbindung mit dem kleinen, aber feinen Hotel «Aldier» und einer umfassenden Grafiksammlung der Lithografien des Künstlers aus dem Bergell. Das Schloss Tarasp wiederum wurde vor zwei Jahren durch den Unterengadiner Künstler Not Vital von den letzten adligen Besitzern, der Familie von Hessen-Kassel, käuflich erworben. Vital hat mit dem sorgfältigen Umbau sowie der Neu­dekoration des Schlosses begonnen und veranstaltet Wechselausstellungen, vornehmlich mit Künstlern und ihren Werken aus dem Freundeskreis von Vital. Ebenfalls in der Umgebung von Scuol befindet sich die Stiftung Nairs, die im ehemaligen Badehaus des Kurhotels Scuol Wechselausstellungen sowie Tagungen im Bereich der Kunst und Architektur durchführt. Wesentliches Anliegen der Stiftung sind die Künstlerstudios, die sich in den ehemaligen Badezimmern für die Kurgäste befinden und die auf Ausschreibung hin den Künstlern für drei bis sechs Monate zur Verfügung gestellt werden.
 
Auf der Fahrt ins Unterengadin kommt man fast zwangsläufig an Zuoz vorbei, einem Ort, in dem sich neben dem berühmten Internat seit einigen Jahren auch zwei Kultur- und Kunstvermittler niedergelassen haben. Die Galerie Tschudi, ursprünglich in Glarus domiziliert, hat seit Jahren ihre Galerie peu à peu in die Casa Albertini in Zuoz verlagert und veranstaltet Ausstellungen mit international so renommierten Künstlern wie Carl André, Richard Long, Sol Lewitt, Niele Torroni oder dem lokalen Künstlerstar Not Vital. Die Mailänder Galerie Monica de Cardenas zeigt in ihrer Filiale im Engadin Arbeiten von Stefan Balkenhol, Alex Katz, Franz Gertsch, Marisa Merz und anderen. Beide Galerien veranstalten in der Hochsaison im Sommer und im Winter jeweils Themen- oder Einzelausstellungen der Galeriekünstler. In Susch am Fusse des Flüelapasses erwartet ein neues Kulturereignis die Besucher des Unterengadins: das Muzeum Susch. Es ist kein Schreibfehler, dass sich Muzem mit z schreibt, sondern weisst auf die Herkunft der Museumsstifterin hin: auf Polen. Ihr Name: Grazyna Kulczyk. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Susch zu einem neuen Zen­trum der Gegenwartskunst zu machen. Das Muzeum ist aber mehr als ein Ausstellungsraum für Gegenwartskunst; es soll ein Tagungszentrum für Kongresse zur Gegenwartskultur sein ebenso wie ein Treffpunkt für Künstler, die in eigenen Ateliers ihrer Arbeit nach­gehen können. 
 

«Das Vermögen der Millioneninvestorin in Susch stammt aus Immobilien-handel und polnischen Brauereien (sic!).» Bildlegenden Das Schloss Tarasp ist nur ein Aushängeschild der Kulturbelebung im Unterengadin. (Foto: Joachim Köhler/Wikipedia)

Ein Museum entsteht

Das Museum selbst befindet sich in der ehemaligen Brauerei von Susch. Die Existenz einer Brauerei ist belegt bis zurück ins 12. Jahrhundert. Es waren Benediktinermönche, die in Susch Bier brauten. Die Getreide wie Hopfen und Malz wurden ebenfalls in der Umgebung auf klösterlichem Gelände angebaut und geerntet. Im Rahmen der Reformationswirren zogen die letzten Mönche ins Kloster Marienberg bei Mals, die Brauerei verwaiste. Erst um 1726 ist die Brauerei wieder aktenkundig erwähnt als Privatbesitz der Familie von Planta. Durch Heirat fiel die Brauerei dann in den Besitz der Familie Campell, die diese von 1850 bis 1917 führte. Die Brauerei erhielt den Namen «Campell und Planta» und wurde ab 1850 kontinuierlich erneuert und vergrössert. Nach dem Ableben des letzten Besitzers aus der von Planta-Familie erhielt die Brauerei den Titel «Brauerei Gebrüder Campell». Vor allem während des Bahnbaus mit der Verbindung von Zernez nach Scuol der Rhätischen Bahn erlebte die Brauerei einen Aufschwung, der erst mit dem Beginn des 1. Weltkriegs ein Ende fand.
 
Nachdem der Betrieb eingestellt wurde, war die Brauerei verwaist und zerfiel langsam. Bis eben die reiche Polin nach Susch kam und flugs die alte Brauerei, das daneben liegende Gebäude sowie vis-à-vis ein altes Engadinerhaus kaufte. Niedergelassen hat sie sich in Tschlin in einem alten Haus im Dorfkern. Für das Brauereiprojekt engagiert sie zwei junge Architekten aus Zürich respektive Basel mit der Planung des Kulturzentrums für Susch: Chasper Schmidlin und Lukas Voellmy. Beide waren schon früher im Engadin tätig und haben diverse alte Engadiner Häuser und Ställe renoviert, unter anderem stammt auch der Entwurf der Kunsthalle «La Stalla» in Madulain aus ihrer Feder. 
 
 

Die Brauerei in Susch erhält eine neue Funktion. Die ehemaligen Kellerräume werden zu Ausstellungsnischen. (Fotos: Stefano Graziani)

Die Brauerei in Susch erhält eine neue Funktion. Die ehemaligen Kellerräume werden zu Ausstellungsnischen. (Fotos: Stefano Graziani)

Die neue Besitzerin

Die Einwohner von Susch haben sich lange Zeit die Frage gestellt, was denn aus der ehemaligen Brauerei nach Aufnahme der Bauarbeiten geschehen soll. Die polnische Investorin, die sich in das Dorf «verliebt» hat und die Bewohner von Susch freundlich und sympathisch findet, hat erst peu à peu ihre Pläne offengelegt.

Sie hat ihr Vermögen mit Immobilien in Polen erwirtschaftet, zudem war sie lange Jahre mit dem reichsten Privatmann Polens verheiratet und hat ihre Scheidung mit einer stattlichen Summe versilbert. Das damalige Unternehmerpaar hat schon früh vor der Wende in staatliche Unternehmen investiert, die dann mit dem Ende des osteuro­päischen Handelsraums Comecon und nach dem Ende des Eisernen Vorhangs an die Investoren fielen. Das Vermögen von Jan Kulczyk wurde auf drei Milliarden Franken geschätzt, laut Gerüchten soll seine Frau bei der Scheidung die Hälfte dieses Betrags erhalten haben.

Vielseitiges Haus der Kunstvermittlung

Seither hat sie viel Geld in die Kunst und in die Erfüllung ihres Lebenstraums investiert: ein Zentrum der aktiven Auseinandersetzung mit Kultur und Kunst der Gegenwart. Schon früh hat die Polin Werke polnischer Künstler und namentlich Künstlerinnen gekauft, ein Teil dieser Sammlung wird nun in Susch erstmals ausgestellt. Eine Arbeit steht bereits: Im ehemaligen Eisturm hat die polnische Künstlerin Monika Sosnow­ska, die unter anderem durch die weltweit tätige Galerie Hauser & Wirth vertreten wird, eine 14 Meter hohe Skulptur aus Stahl errichtet. Im Innenhof ist eine Skulptur vom im Unterengadin omnipräsenten Not Vital aus Carrara-Marmor geplant. Zur Seite stehen bei all ihren mäzenatischen Aktivitäten einige Leute, die sie beraten und für sie planen. Für das Museum in Susch, das unter dem Titel «Art Stations Foundation» firmiert, hat sie mit Mareike Dittmer eine Direktorin gewählt, die in Ber­-lin als freie Kuratorin sowie als Mitherausgeberin der deutschen Zeitschrift «Mono.Kultur» sowie der deutschsprachigen Augabe des «Frieze Magazins» tätig war. Dittmer, die ursprünglich Kunstwissenschaften an der Berliner Universität der Künste studiert hat, wird verantwortlich für alle Aspekte des Museumsprojekts in Susch sein, dazu gehören zum normalen Ausstellungsbetrieb mit den Wechselausstellungen auch die «Disputaziuns Susch», das sind Referate und Seminare, sowie das «Instituto Susch», das gemeinsam mit der Hochschule für angewandte Kunst in Basel geführte Forschungsprogramm über die Frauen in der Kunst und letztlich auch für die Künstlerateliers für «artists in residence» unter dem Namen «Temporary Susch».

Es ist ein ehrgeiziges Projekt, das in Susch gestartet wird (Eröffnung am 2. Januar 2019), das aber letztlich für die kulturelle Aufbruchstimmung neben all den andern Initiativen steht und aus dem Unterengadin ein kulturelles Zentrum des ganzen Kantons macht.
 
 

Hinter dem Projekt Muzeum Susch steht die reiche Polin Grazyna Kulczyk. (Foto: Adam Plucinski)