Ein Schauspielhaus auf Zeit (Bild: zVg)
Das «Origen»-Festival hat sich seit seinem Start als kleine Kulturveranstaltung im Turm von Riom vor über zehn Jahren zu einem veritablen Kulturunternehmen entwickelt – mit einem Ganzjahresprogramm in der Region und der gesamten Schweiz. Die hinter dieser Initiative stehende Person ist Giovanni Netzer, ein eigentlicher Zampano, wie es Federico Fellini in seinem Film «La Strada» definiert hat: «Ein Zampano ist ein Mann, häufig Anführer einer Gruppe, der durch übertriebenes, prahlerisches Gebaren beeindrucken will. Er versucht, sich in den Vordergrund zu spielen und erweckt gerne den Eindruck, Unmögliches möglich machen zu können» (so die Definition bei Wikipedia). Es ist indes weniger der Eigendünkel Netzers, der ihn antreibt, als vielmehr ein echtes kulturelles Anliegen – er versucht einfach, sämtliche Möglichkeiten in einem, global gesehen, kleinen Gebiet wie Graubünden auszuschöpfen. Er hat dazu vielfältige Initiativen ergriffen – angefangen vom Kernort Riom mit seinem Theaterturm und den umliegenden Gebäuden (heute mit Ganzjahrestheater in der Scheune und dem Restaurant «Carisch», benannt nach dem Bauherrn, der sein Geld in Paris als Zuckerbäcker und Immobilienhändler verdient hat) über temporäre Inszenierungen auf Staumauern oder den legendären Weihnachtskonzerten in der Remise der Rhätischen Bahn in Landquart bis hin – nun neu – zu einem Theaterturm auf dem Julierpass. Der Julierpass ist kein neues «Spielfeld» für Giovanni Netzer: Bereits im Sommer 2010 hat das «Origen»-Festival auf der Julierpasshöhe mit «La Regina da Saba» in einem provisorischen Zelt einen damals kulturellen Höhepunkt gesetzt.
Eine alte Illustration von Türmen auf dem Julier nach J.J.Scheuchzer (Bild Kantonsbibliothel Chur)
Neben all seinen anderen Aktivitäten hat die Julierpasshöhe Zampano Netzer nicht in Ruhe gelassen. Nun hat er auf der Passhöhe einen temporären Theaterturm errichtet, der rund vier Jahre mit verschiedenen Inszenierungen bespielt werden soll. Türme auf dem Julier sind nichts Neues, denn der Pass spielt eine gewichtige Rolle im (in Neudeutsch) «alpenquerenden Verkehr». Es gibt auf der Passhöhe Zeugen dafür, die Archäologen streiten sich heute darüber, ob es römische oder mittelalterliche Relikte sind. Zumindest – und dies ist belegt – gibt es Darstellungen von Türmen auf der Passhöhe des Juliers aus dem 18. Jahrhundert. Der Philanthrop Johann Jacob Scheuchzer hat anlässlich einer Studienreise eine Radierung (datiert 1716) angefertigt, die zwei Türme auf der Julierpasshöhe abbilden. Das waren Wehrtürme – Netzers Turm ist ein Kulturturm, der auf Zeit bespielt werden wird, nicht als Zeichen der Wehrhaftigkeit, sondern als Neuinterpretation des Passes als Begriff für die kulturelle Vermittlung zwischen den Welten – ein Welttheater auf 2300 Metern sozusagen.
Ein mutiges Projekt, das immerhin bundesrätlichen Segen erhalten hat und dessen Investitionen dank der grosszügigen Unterstützung von privaten Geldgebern (bald) gesichert ist. Bis im Herbst dieses Jahres wird das Werk «Herodes» von Dimitri Schostakowitsch nach einem Spielbuch von Giovanni Netzer aufgeführt.