Noch bis Juli verhindert ein Gerüst die Sicht auf die renovierte Fassade. (Foto: zVg)
Das Kloster in Disentis gehört zu den ältesten Benediktineranlagen – wenn nicht gar zur ältesten – nördlich der Alpen. Erstmals erwähnt wird sie im 8. Jahrhundert, ist also in etwa gleich alt wie das Kloster in Müstair. Trotz Wirren über die Jahrhunderte hinweg war das Kloster ununterbrochen eine funktionierende Abtei (sie galt als Hüterin des Lukmanierpasses) und wurde kontinuierlich erweitert. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde das Kloster im Barockstil umgebaut und erneut erweitert, die Kirche St. Martin mit ih-
ren zwei markanten Türmen wurde nach österreichischem Vorbild errichtet. 1799 wurde das Kloster von französischen Truppen geplündert und schliesslich in Brand gesetzt, wodurch ein Grossteil der ursprünglichen Bausubstanz verloren ging, inklusive des Hochaltars aus Bayern.
Ein erster Anlauf zur Renovation der Kirche wurde bereits 2007 gestartet, musste aber abgebrochen werden, da die Zusagen für Bundesgelder aufgrund des Moratoriums für Baudenkmäler des Bundesamts für Kultur zurückgezogen wurden. Dennoch wurde bereits in dieser Phase grundlegende Planungsarbeit geleistet, die beim zweiten, nun zu realisierenden Anlauf eingeflossen ist. Eigentlicher Startschuss war das 1400-Jahr-Jubiläum des Klosters, das im Jahr 2014 gefeiert wurde. Dabei wurde ein Patronatskomitee gegründet, das sich primär um die finanziellen Aspekte der Renovation kümmert – denn es ist selbstredend, dass das Kloster alleine die Kosten der Renovation nicht aufbringen kann.
Schon im Jahr 2010 stellte ein Wirtschaftsrat des Klosters fest, dass die wirtschaftliche Situation nicht befriedigen kann. Zwar seien die Kosten im Griff, die Einnahmenseite des KMU Kloster Disentis (Eigendefinition des Klosters) sei indes unbefriedigend. Entsprechend wurde ein Masterplan erstellt, der im Jahr 2015 mit Erfolg abgeschlossen werden konnte (Ertragssteigerungen im Internatswesen sowie der Seminar- und Konferenzaktivitäten inklusive Catering aus der eigenen Küche). Der Wirtschaftsrat kommt denn auch zum Schluss: «Die Ergebnisse der Masterplanung 2011 bis 2015 zeigen, dass das Kloster wirtschaftlich erfolgreich auf dem Weg ins 21. Jahrhundert ist.» Reserven oder gar Mittel für die Kirchenrenovation konnten indes keine zurückgestellt werden. Also war das Patronatskomitee gefragt, das die Aufgabe übernahm, die für die Kirchenrenovation notwendigen gut 15 Millionen Franken zu beschaffen. Keine leichte Aufgabe in einem wirtschaftlichen Umfeld, in dem Sponsorengelder nicht so üppig fliessen wie auch schon. Natürlich wurde auch die öffentliche Hand angefragt, die sich im Rahmen der Möglichkeiten engagiert. Dennoch machen die öffentlichen Gelder 40 Prozent des Gesamtbudgets aus. Aus diversen Fundraising-Aktionen kamen von privater Seite bis anhin rund 5 Millionen Franken zusammen – es fehlen also noch 3 Millionen Franken!
Oben: Ausschnitt aus dem Fresko der Madonna. Unten: Das restaurierte, aber noch eingerüstete Fresko. (Fotos: zVg)
Die Südfassade der Kirche St. Martin ist nicht nur das farbige Aushängeschild in der ansonsten wenig geschmückten Südfront, sie ist mit ihren Freskenbildern auch die am meisten beeinträchtigte. Die Kirchenfassade stammt ursprünglich aus den Jahren 1690 bis 1709 und wurde 1954 mehr recht als schlecht restauriert. Gerade die Fresken leiden am meisten unter den extremen Temperaturschwankungen, insbesondere im Winter, wo in der Nacht eine Temperatur um – 10 ˚C herrscht, tagsüber bei Sonnenschein jedoch die Temperatur auf + 20 ˚C klettern kann. Namentlich drei Fresken standen im Vordergrund der Renovation: das Bildnis der Madonna mit dem Schutzmantel im Giebel der Fassade (eigentlich ein Scheingiebel) sowie die Fresken vom heiligen Martin und vom heiligen Georg. Vor allem das sogenannte Schutzmantelbild war in den zwei unteren Dritteln stark beeinträchtigt, sodass nicht mehr alles originalgetreu restauriert werden konnte. Die schon 2006 festgestellten Schäden reichten von Verschmutzung, Vogelfrass, Rissen und Hohlstellen, abschälenden Malschichten bis hin zu fehlender Malerei. Da die gesamten Arbeiten von der kantonalen und eidgenössischen Denkmalpflege begleitet werden – mit beiden verbindet das Kloster und die Bauherrschaft eine harmonische Beziehung – einigte man sich auf eine pragmatische Lösung: Die sechs Geistlichen in der linken unteren Ecke wurden mit aktuellen Brüdern aus dem Kloster ersetzt, unter anderem mit dem legendären Abt Daniel Schönbächler und dem aktuellen Abt Vigeli Monn. Die zwei Heiligen (Martin und Georg) in den Blindfenstern unterhalb des Madonna-Bildes waren in einem besseren Zustand und gaben den Restauratoren (verantwortliche Restauratorin: Sylvia Fontana aus Rapperswil-Jona) weniger Probleme auf.
Wo die Gesichter nicht mehr erkennbar waren, wurden aktuelle Brüder – wie Abt Vigeli – in das Fresko eingefügt. (Foto: zVg)
Noch ist die Südfassade mit einem Gerüst zum Schutz der Passanten verbaut, aber bis zum 1. Juli sollten die letzten Arbeiten abgeschlossen sein, ebenso wie die erste Etappe der Kirchensanierung – die Fassade kann wieder in Glanz erstrahlen. Das gesamte Projekt der Restaurierung der Klosterkirche St. Martin ist in vier Phasen unterteilt: Auf die Südfassade folgt nun die Ost- und Nordfassade sowie danach die Westfassade, wobei diese Renovationen relativ problemlos sind, da sie keinerlei Verzierungen oder Gemälderenovationen beinhalten. Aus diesem Grund war die Südfassade mit 2,3 Millionen Franken teurer als die drei kommenden Fassadenrenovationen (insgesamt rund 2,1 Millionen Franken). Doch das Pièce de résistance folgt: das Kircheninnere.
Das Innere der Kirche mit Hoch- und Seitenaltar – die Restaurierung startet im kommenden Jahr. (Foto: zVg)
So bezaubernd der Blick in das Innere der Kirche mit seinem Hochaltar und den Deckenmalereien ist, so bemerkt man bei genauerem Hinsehen, dass auch der Zustand im Inneren bedenklich ist. Aus diesem Grund ist die Innenrenovation auch der grösste Posten im Gesamtbudget mit über 10 Millionen Franken. Dabei reichen die Arbeiten von der Sanierung der Natursteinböden bis zur Behandlung des Pilzbefalls in den Deckenfresken. Bereits im Vorgang zum Projektstart wurden umfangreiche Abklärungen durch Experten verschiedenster Fachgebiete wie Baustatik, Bauphysik, Elektroplanung, Heizung und Lüftung, Beleuchtung etc. durchgeführt, weshalb die Kosten relativ genau kalkuliert werden konnten.
Bei diesen Analysen wurde beispielsweise festgestellt, dass der Hochalter und auch Teile des Chorgestühls und der Täferung massiv von Holzwurmbefall betroffen sind. Die Deckenmalereien sind teils mit Pilzen befallen, die Wände der Kirche sind durch Staub und Feuchtigkeit teils grau, zudem findet man überall Risse im Mauerwerk. Letztlich sollen auch die zwei Orgeln ausgebaut werden, die Hauptorgel erhält ein zusätzliches Register. Allein die Sanierung der Orgel schlägt sich mit 1,4 Millionen Franken im Budget nieder.
Im Jahr 2020 soll die Erneuerung der Kirche abgeschlossen sein und soll dannzumal am Feiertag des Klosters zu Ehren des Mitbegründers, des heiligen Placidius, feierlich eröffnet werden – dies allerdings unter der Prämisse, dass die bis dato fehlenden finanziellen Mittel noch gefunden werden können.
Schäden: Holzwurmspäne am Hochaltar (oben) und Pilze an den Decken (unten). (Fotos: zVg)