Nur auf der Durchfahrt?

Sta. Maria

Die Kirche von Sta. Maria eingangs des Calancatals

Eine verkannte Region – die Moesano

Kaum aus dem San-Bernardino-Tunnel herausgefahren, sehnen sich die Autofahrer nach dem ersten «richtigen» Espresso in der Autobahnraststätte in Italien. Sie fahren so schnell es geht durch das ­Misox – immerhin wurde die ertragreichste Radarfalle der gesamten Schweiz auf Geheiss der Gemeinde und des Kantons im Misox entfernt, was kein Freipass sein soll – und verpassen eine Region, die viel Charme und Sehenswürdigkeiten hat.
Die Region Moesano – bestehend aus den zwei Talschaften Calanca und Mesolcina (Danke für den Hinweis aufmerksamer Leser der Vorschau in der letzten Ausgabe der «Terra Grischuna») – ist heute Wohnort von vielen Menschen, die im Tessin tätig sind, also sozusagen eine Schlafregion. Fast 80 Prozent der Bevölkerung gehen ihrer Berufstätigkeit in Bellinzona oder noch weiter südlicher im Tessin nach. Doch sowohl das Misox wie auch das Ca­lancatal haben ihre Attraktionen – gerade deshalb eignen sie sich als Wohnort. Beides sind zwar enge Täler, aber es sind eindrucksvolle Bergimpressionen, die geboten werden, auch wenn der Besucher, der die Berggipfel betrachtet, schnell die Genickstarre bekommt. Und dann die Kultur: Die Region ist reich an Kulturgütern mit Burgen und Kirchen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, gestaltet von Baumeistern und Architekten, die ihr Wissen auch weit über die Grenzen hinausgetragen haben. Baumeister aus dem Misox haben ihre Meisterschaft vor allem in Bayern und in Österreich umgesetzt. Es gibt aber ebenfalls eine Gegenwartskultur in der Moe­sano – mit zeitgenössischer Kunst und mit erstaunlichen Musikfestivals. 

Und ebenfalls zur Kultur gehört die Küche: Es ist eine Küche der armen Leute, basierend auf regionalen Produkten, die heute wieder so gefragt sind. Ein Teil dieser einfachen Küche können die Besucher auch in den Grotti erleben – und da hat das Misox wahrlich ein Juwel zu bieten: Die Grotti von Cama – 45 zusammengehörende kleine Lagerkeller aus dem 16. und 17. Jahrhundert – wurden eindrucksvoll in ihren Originalzustand versetzt, ein einzigartiges Ensemble. Diese Geschichten finden Sie als Leser im Thementeil des Hefts.
Im Magazinteil blicken wir zurück auf den «Terra Grischuna»-Preis, vermitteln aber auch Einblicke in die Geschichte der sogenannten Engadiner Nusstorte und stellen Ihnen einen Kupferstecher vor, der aus der Surselva in die weite Welt gezogen ist und dort Ausserordentliches geschaffen hat. Und wir ermöglichen die ersten Einblicke in die Vision für Graubünden des letztjährigen Regierungspräsidenten Christian Rathgeb. Viel Vergnügen bei der Lektüre.

Christian Dettwiler
Redaktionsleiter