Eine Schönwetter-Fotografin

Fotografie, Alpinismus, Lisa Gensetter

Gletscherspalte (Spalti) im Silvrettagletscher bei Klosters.

Die «heile Welt» der Lisa Gensetter
Die aus Davos stammende Lisa Gensetter hat während über zwei Jahrzehnten das visuelle Erscheinungsbild dieser Zeitschrift mit ihren Fotografien gestaltet und geprägt. Lange Zeit war ungewiss, 
was mit ihrem fotografischen Erbe geschehen soll. Nun wird das Archiv durch die Fotostiftung Graubünden aufgearbeitet und das Werk der Fotografin in einer Ausstellung gewürdigt.
Text 
Christian Dettwiler
Bilder 
Lisa Gensetter

Eine kleine Auswahl der Arbeiten Gensetters wurde bereits 1992 in einer Ausstellung im Bündner Kunstmuseum gezeigt. Eine Reminiszenz des Mitherausgebers des Katalogs zur Ausstellung «Bündner Fotografen», Christoph Bättig, steht stellvertretend für das Selbstverständnis von Lisa Gensetter: «Als sich herausstellte, dass die geplante Ausstellung nicht im Churer Natur-, sondern im Kunstmuseum stattfinden würde, atmete sie zuerst einmal tief durch. Dort gehöre sie nicht hin, mit diesen Leuten hätte sie noch nie etwas zu tun gehabt ...»

Fotografie, Rauhreif, Lisa Gensetter

Raureifzauber auf einer Birke bei Davos – fast wie bei Albert Steiner.

​Zuerst das Labor

In der Tat deutete damals nichts darauf hin, dass Lisa Gensetter heute als Fotokünstlerin gilt. Geboren ist sie 1925, der Vater war Gärtner im Sommer, im Winter für Schneeräumungen von Privatliegenschaften zuständig, die Mutter verdiente sich ein Zubrot zum Familienportemonnaie mit Schneider- arbeiten. Eine Lehrstelle als Buchhändlerin – der Berufswunsch von Gensetter, die gerne las und schrieb – war nicht zu finden. Also nahm sie eine Stelle als Laborantin beim damaligen Fotostudio von Emil Meerkämper an. Trotz der Kriegszeit, in der sie die Lehrstelle antrat, waren die Fotostudios mit Aufträgen für Postkarten und Fotos von Gästen gut ausgebucht, allein Meerkämper hatte sechs Laborantinnen in seinem Studio. Diese Arbeit bedeutete vornehmlich acht bis zehn Stunden Arbeit in der Dunkelkammer. Dass die Fotomotive zumeist Bergbilder waren (eine Spezialität Meerkämpers), prägte die junge Lisa Gensetter. Erst recht, nachdem sie von Davos ins Fotostudio der Familie Schocher in Pontresina wechselte. Die Schochers waren nicht nur Fotografen, sondern auch Alpinisten. Wohl da entflammte Gensetters Liebe zu den Bergen noch stärker. 
Die Laborarbeit war langweilig, jede Postkarte wurde damals noch einzeln vergrössert und zugeschnitten. Aber das Geschäft florierte sowohl bei Jules Geiger in Flims wie auch bei Flurin Schmelz in Klosters, bei dem Gensetter nach der Rückkehr aus Pontresina und einem kurzen Abstecher nach Luzern für weitere fünf Jahre in der Dunkelkammer verblieb: Die Bergfaszination beschränkte sich aufs Produzieren von Postkarten und auf die wenige Freizeit – diese wurde aber im Sommer mit grossen Wanderungen und Klettern sowie im Winter mit Skitouren intensiv gepflegt.
 

Fotografie, Lisa Gensetter

Porträtaufnahmen von Lisa Gensetter sind selten

​Die Liebe zu den Bergen

Immer stärker wurde die Idee, das Fotografieren selber zu betreiben und nicht nur fremde Fotos zu vergrössern. Es war naheliegend, dass Gensetter auf ihren Bergtouren selber zu fotografieren begann – und zur Liebe zu den Bergen gesellte sich auch die Liebe zu einem Ingenieur aus Zürich namens Severin Schellenberg. Dieser war beim Kanton Graubünden für die Planung und Realisierung von Lawinenverbauungen zuständig und führte sein Büro zu Hause in Davos. Schellenberg war auch publizistisch tätig, unter anderem gemeinsam mit dem langjährigen Leiter des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung, Marcel de Quervain. Lawinen und Berge – das führte zusammen und die Schellenbergs (Lisa Gensetter nahm bei der Heirat «selbstverständlich» den Namen des Gemahls an – aber als Fotografin wirkte sie weiterhin unter ihrem Mädchennamen) unternahmen nun viele Touren gemeinsam, Schellenberg war auch eine Hilfe für das Tragen der schweren Fotoausrüstung. Reto Fetz, der ehemalige Herausgeber der «Terra Grischuna», bezeichnet ihn etwas salopp als «Gensetters Lastesel». Dass Schellenberg aber auch in die Alpingeschichte eingegangen ist, bezeugt der Piz Severin am Flüelapass, wo er während Jahren Lawinenverbauungen realisierte.

Fotografie, Monstein, Lisa Gensetter

Alter Spycher bei Davos Monstein.

​Als freie Fotografin

Mit der Heirat bot sich auch die Möglichkeit, die Laborantentätigkeit nur noch für sich selber zu betreiben und das Fotografieren zum Lebensinhalt zu machen. War das Wetter gut, gab es für Gensetter kein Halten und keine familiären Pflichten mehr, die Berge riefen. Ihre Tochter Ursina Valsecchi erinnert sich noch gut an die Zeiten, wo bei schönem Wetter der heimische Herd kalt blieb. Gutes Wetter mit Sonne und blauem Himmel charakterisiert denn auch die Fotografie von Gensetter: Sie ist die Alpinfotografin der «heilen Welt» und des schönen Wetters. Entsprechend gefragt waren ihre Fotos, das Geschäft florierte mit Aufträgen diverser Zeitschriften wie «Das Gelbe Heft», das «Blatt für Alle» oder die «Schweizer Familie». Daneben entstand ein weiteres wichtiges Standbein, das Fotografieren von Motiven für Jahreskalender verschiedener Verlage sowie die Illustration von Bergbüchern, namentlich für deutsche Verlage.
Auf die Fotografien Gensetters wurden auch die Redaktion und der Verleger der «Terra Grischuna» aufmerksam und es entstand eine langjährige Zusammenarbeit, die von 1960 bis in die 80er-Jahre andauerte. Ihre Bildsprache passte perfekt zum Inhalt der Zeitschrift, Gensetter definierte sie im Ausstellungskatalog von Paul Hugger und Christoph Bättig folgendermassen: «Ich muss einfach schauen, dass alles stimmt, dass möglichst keine Telefonstange oder kein hässlicher Stall mitten im Bild steht. Auch bei Davos muss ich immer schauen, dass ein paar schöne Bäume im Vordergrund das Verbaute etwas dämpfen.»

Eishalle Davos, Fotografie, Lisa Gensetter

Eine typische Reportagefotografie für die «Terra Grischuna» - Bau der Eishalle in Davos.

​Produktive Zeit

Vor allem in den 60er- und 70er-Jahren war das Fotogeschäft für Genset- ter erfolgreich, sie konnte sich – vor allem für die qualitativ anspruchsvollen Kalenderbilder – eine der damals luxuriösesten Kameras kaufen, eine Linhof mit Negativformat 9 × 12 cm oder 13 × 18 cm. Das Wirken von Gensetter nur auf die Landschafts- und Bergfotografie zu reduzieren, wäre falsch. Sie hat auch Reisereportagen in Island, Lappland, Jemen, Peru oder Indien realisiert und an Zeitschriften verkauft. Aber dennoch ist sie – letztlich wie ihre englische Vorgängerin Elizabeth Main – eine Berg- und Landschaftsfotografin. Sie war denn auch bekannt mit ihren Berufskollegen Dölf Reist und Herbert Mäder – ab und an wird ihr Name auch gemeinsam mit dem Spezialisten der Engadiner Landschaftsfotografie, Albert Steiner, genannt.

​Und das Archiv

Wie so viele Fotografen hat auch Lisa Gensetter dem Archivieren ihrer Arbeit nur rudimentär Aufmerksamkeit geschenkt. Es blieb zwar alles erhal- ten – allerdings abgelegt in unzähligen Kartonschachteln. So lag das Archiv seit ihrem Tod auf einem Estrich, wurde zweimal gezügelt – und den Nachfahren war es klar, dass der Umgang mit Gensetters Nachlass «suboptimal» war. Nun befindet sich das Archiv seit zwei Jahren bei der Fotostiftung Graubünden in Chur und wird kontinuierlich bearbeitet. Ähnlich wie beim Archiv von Jules Geiger haben die Nachkommen der Fotostiftung das Nutzungsrecht überlassen, die Stiftung im Gegenzug aber verpflichtet, das Archiv auch digital aufzuarbeiten und der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So liegen nun bei der Fotostiftung bereits über 10 000 Aufnahmen von Gensetter in digitaler Form vor. Sämtliche Bilder wurden mit Zusatzinformationen wie Ort, Titel und Bildbeschreibung versehen und können dadurch über das Online-Bildarchiv der Stiftung nach diesen Kriterien gesucht werden. Die Fotostiftung ehrt die Fotografin ab dem 8. Juli dieses Jahres mit einer Ausstellung – unter anderem auch mit den vielen Büchern und Kalendern, die Gensetter gestaltet hat.

Weitere Infos

AUSSTELLUNG
Lisa Gensetter - Goldenes Bündnerland
Reportagen und Landschaftsfotografien der Davoser Fotografin
8. Juli (Vernissage) - 28. August 2016
Fotostiftung Graubünden, Kasernenstrasse 14, Chur
Öffnungszeiten: Montag und Mittwoch 10-16h, Freitag 10-20h 

Autor
Christian Dettwiler ist Redaktionsleiter der «Terra Grischuna». Er lebt in Flims.
redaktion@terra-grischuna.ch

Online
www.fotoGR.ch